Sturm der Seelen: Roman
Beute her.
Der Erste hatte das Felsentor noch nicht einmal erreicht, da blieb er plötzlich stehen. Er riss sein Haifischmaul auf, so weit die Kiefergelenke es nur zulassen wollten, und versuchte zu husten, doch es kam kein Ton aus seiner Kehle. Dann weiteten sich seine Augen, als wollten sie aus den Höhlen treten, und die Kreatur wurde von krampfhaften Zuckungen geschüttelt. Mit weit gespreizten Krallen riss er sich seinen Kehlkopf heraus, dann schlugen Flammen aus der offenen Wunde, selbst der zerfetzte Kehlsack brannte. Und schon im nächsten Sekundenbruchteil hatten drei seiner Brüder sich auf ihn gestürzt und rissen ihn in Fetzen.
Unterdessen fielen ein paar andere mit dem Gesicht voraus in den Schnee und rissen sich zappelnd und zuckend Löcher in Brust und Hals, in dem vergeblichen Versuch, mit ihren Händen das Feuer zu löschen, das in ihren Eingeweiden aufloderte. Die, die am meisten von den Überresten ihres Meisters abbekommen hatten, fielen als Erste, während die anderen sich entweder auf sie stürzten oder dem Geruch von frischem Menschenblut folgend über sie hinwegsprangen, hinein in die Höhle. So lagen sie im Schnee und wurden von innen verbrannt von dem Blut, das sie nie hätten kosten dürfen. Von innen fraß es sich durch ihre Schuppenhaut, wo das Fleisch ihres Herren sich entzündet hatte und das Feuer sich nun einen Weg nach draußen bahnte.
Immer mehr fielen und starben auf diese Weise, während der eine Besondere von oben zuschaute und seinen Hunger unterdrückte, bis sein weit dringlicheres Bedürfnis befriedigt war.
Weiter und weiter kletterte er hastig hinauf, bis er ganz oben war und ein letzter Blick das bestätigte, was er längst gewittert hatte: Die meisten seiner Artgenossen waren entweder bereits tot oder lagen als Opfer ihrer eigenen Blutlust im Sterben.
Ihr frenetisches Fauchen und Zischen verwandelte sich in schrille Hilferufe, deren Echo aus dem Eingang der Höhle hallte.
Auf allen vieren krabbelte es weiter und hob alle paar Meter züngelnd seinen Echsenkopf in die Luft, schmeckte die Luft auf seiner Zunge und suchte in den Myriaden von Witterungen und Gerüchen nach dem einen, nach dem es verlangte. Ein genauso stechender wie süßer Geschmack, aber immer noch zu schwach. Doch wenn es das Objekt seiner Begierde wittern konnte, dann war es auch möglich, es aufzuspüren. Es musste nur einen Weg durch diese Felsen unter ihm finden.
Es wandte sich ein Stück nach rechts, und die Witterung wurde stärker, legte sich wie ein geschlossener Film um seine Zunge. Sein Kopf zuckte hin und her, dann hob es ihn noch einmal zum Himmel. Es war jetzt ganz nah, so nahe, dass der Geschmack auf seiner Zunge es beinahe um den Verstand brachte und es in einen alles verschlingenden Strudel aus Hunger und Verlangen zog. Dann wühlte es sich immer tiefer in den Schnee, bis es das darunterliegende Eis erreichte.
Da war die Witterung wieder, noch stärker, und das Wesen schlug seine Klauen in die dicke Eisschicht, während der Speichel, der seine Mundhöhle füllte, angefüllt mit dem verlockenden Geschmack seine Kehle hinuntertroff. Nun konnte auch dieser eine seine Instinkte nicht mehr beherrschen, er verlor die Kontrolle über seine Gliedmaßen und grub hektisch immer tiefer, riss sich seine Klauen aus, wenn sie sich irgendwo verhakten. Die Witterung war jetzt überall, schlug ihm entgegen, intensiv wie Abgase aus einem Abluftventil, und er zischte und fauchte sich die Kehle wund.
Und da war es endlich … ein großer, breiter Riss im Fels, durch den einst eine Kiefer ihre Wurzeln auf der Suche nach frischem Wasser in den Fels gegraben hatte. Ausgerechnet einer der Bäume, mit dem die Überlebenden ihr erstes Feuer in der Höhle entzündet hatten, würde jetzt zu ihrem Verhängnis werden. Das Echsenmonster spähte noch einmal kurz hinab in den Spalt, dann flachte es seinen Schädel ab und glitt hinein. Der Gestank von Staub und Vogeldung schlug ihm entgegen, doch wenn die Bewegung auch schwach war, es spürte deutlich, wie die Luft ihm von unten entgegenströmte. Und wenn es einen Luftstrom gab, dann hatte er irgendwo einen Anfang: das Ende dieses Spalts, der ins Innere des Berges führte.
Die Kreatur flachte ihren Körper so weit ab, wie die elastischen Knochen es nur zuließen, und schob sich schlängelnd immer tiefer hinab ins Herz des Berges. Zum Ursprung der Witterung, die es so unaufhaltsam vorantrieb. Zu dem Blut, das es schon fast schmecken konnte.
Zu dem Objekt seiner
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