Sturm der Seelen: Roman
eigener rauer Atem klang wie das Rasseln der Ankerkette eines Ozeanriesen in ihren Ohren.
Immer noch lauschten sie.
»Was sollen wir jetzt tun?«, flüsterte Jill, die gerade versuchte, Phoenix gegen die Felswand zu lehnen.
»Ich … ich weiß es nicht«, sagte Adam und schaute sich um. Phoenix schien sich wieder zu bewegen, das Auf und Ab seiner Brust war jetzt deutlich erkennbar. Direkt daneben erkannte er Ray und Mare, der mit entsetzten Augen auf seinen zerschmetterten Knöchel starrte und sich auf die Lippen biss, um nicht lauthals loszuschreien. Ray hingegen driftete haltlos zwischen den verschiedenen Stadien der Bewusstlosigkeit, befühlte den Schorf um seine verklebten Augenhöhlen und ließ seinen Kopf dann wieder schlaff vornübersinken. Ein Stückchen dahinter kauerte Jake auf dem Boden, die Augen so weit aufgerissen, als hätten sie keine Lider; Tränen schimmerten auf seinen Wangen.
Die Erkenntnis, dass sie nur noch zu acht waren, traf Adam wie ein Schmiedehammer. Acht von dreizehn. Fast die Hälfte von ihnen hatte nicht überlebt. Fünf Menschen waren gestorben, damit die anderen überleben konnten. So viele Tote, so viele Opfer … es war mehr, als Adam ertragen konnte, und endlich ließ er den Tränen, die er so lange zurückgehalten hatte, freien Lauf. War ihr Leben wirklich so viel wert, dass die anderen das ihre geopfert hatten, um sie zu retten?
Schließlich hörte auch Adam auf, sich gegen den Rammbock zu stemmen, ging zu dem Stapel Felsbrocken und griff sich den obersten, um mit ihm die Räder des Gefährts zu verkeilen. Missy und Evelyn machten unwillkürlich ein paar Schritte zurück in der Erwartung, dass ihre Barrikade im letzten Moment doch noch überrannt werden würde, aber als nichts geschah, halfen sie Adam schließlich bei der Arbeit, bis sie auch den letzten Felsbrocken untergebracht hatten und es eine ganze Armee gebraucht hätte, um den Rammbock auch nur einen Millimeter zu verschieben.
Durch die Anstrengung begann die Wunde auf Adams Bauch wieder zu schmerzen, und frisches Blut rann über seine Leisten bis hinunter auf seine Oberschenkel. Die letzten Adrenalinreserven in seinem Körper waren aufgebraucht, und er konnte den Schmerz nicht länger im Zaum halten. Adam sank auf die Knie, auf allen vieren krabbelte er hinüber zu Phoenix, der seine Augen jetzt wieder offen hatte, aber anscheinend immer noch nicht sprechen konnte. Phoenix’ Gesicht war verborgen unter einer dicken Schicht aus getrocknetem Blut, unter der Adam die eigentlichen Wunden kaum sehen konnte.
»Wie sieht’s aus bei dir?«, fragte er den Jungen und legte ihm zwei Finger an den Hals, um seinen Puls zu fühlen.
»Mir fehlt nichts, nicht mehr lange zumindest«, erwiderte Phoenix mit einem gezwungenen Lächeln.
Adam konnte nicht sehen, wie Phoenix seinen Arm bewegte, aber er spürte, wie der Junge eine Hand auf die Wunde in seinem Bauch legte. Er spürte ein Kitzeln, als halte Phoenix eine Elektrode an seinen Bauch, dann breitete sich ein Kribbeln durch seinen ganzen Körper aus. Als Phoenix seine Hand wieder wegnahm, war der Schmerz verschwunden. Phoenix’ Puls war unterdessen mit jedem Schlag stärker und regelmäßiger geworden, und Adam nahm schließlich seine Finger von der Halsschlagader des Jungen und befühlte damit seinen Bauch: Die Wunde hatte sich komplett geschlossen, nur eine kleine Narbe war zurückgeblieben, und sein ganzer Körper fühlte sich irgendwie verjüngt an.
»Wie hast du das …?«, begann Adam, doch dann verstummte er abrupt. Stattdessen befeuchtete er seine Finger und wischte damit etwas von dem getrockneten Blut auf Phoenix’ Stirn ab. Die Schnittwunden waren verschwunden, die Haut darunter vollkommen glatt.
Phoenix zuckte nur mit den Achseln, dann kehrte auch dieses rosafarbene Leuchten in seine Augen zurück.
»Ich kannte einmal einen Mann, der dieselbe Gabe hatte«, sagte Adam.
»Ich weiß«, erwiderte Phoenix, doch das Lächeln auf seinen Lippen erstarb. »Du wirst ihm wieder begegnen.«
»Er ist tot.«
»Das stimmt … trotzdem ist er jetzt viel mächtiger als zuvor.«
Phoenix senkte den Blick und betrachtete einen Moment lang seine Hände, dann stand er ohne ein weiteres Wort auf. Mare zuckte unwillkürlich zusammen, als Phoenix seinen zerschmetterten Knöchel zwischen beide Hände nahm. Doch dann entspannte er sich ebenso schnell wieder, als er sah, wie der Albino-Junge die Bruchstücke in seinem Knöchel an die richtige Stelle schob, als wäre das furchtbar
Weitere Kostenlose Bücher