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Sturm der Seelen: Roman

Sturm der Seelen: Roman

Titel: Sturm der Seelen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael McBride
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geschwollene und verdrehte Gelenk ein Klumpen formbarer Ton.
    »Danke«, murmelte Mare und bewegte seine Zehen. Ihm fiel nichts ein, das er sonst hätte sagen können.
    Aber Phoenix kniete bereits vor Ray und legte seine zitternden Hände auf Rays Schläfen.
    »Es tut mir leid«, flüsterte Phoenix, »aber ich kann lediglich deine Schmerzen lindern. Ich kann dir deine Augen nicht zurückgeben.«
    Ray ergriff Phoenix’ Handgelenke.
    »Spar dir deine Kräfte. Ich werd’s überleben.«
    »Und dank dir haben wir auch überlebt«, erwiderte Phoenix und spürte dabei, wie seine Lebenskraft durch seine Handflächen in Rays Kopf strömte. Der Schorf auf seinen Augenhöhlen trocknete augenblicklich aus und bröckelte weg, und auch das noch offenliegende Gewebe schloss sich wieder. Rays Augenhöhlen waren immer noch schwarz und leer, aber die Blutung war gestoppt und die Haut darüber glatt.
    »Dank…« Doch plötzlich verstummte Ray, und sein Herz begann zu rasen. »Habt ihr das gehört?«
    »Nein. Es ist alles vollkommen still.«
    Ray stand auf und drehte den Kopf hin und her, als lausche er angestrengt, aus welcher Richtung das Geräusch gekommen war. Und dann hörte er es wieder, kaum wahrnehmbar, aber es war da.
    Klack …
    Klack …
    Ray konnte nicht einmal Luft holen, um die anderen zu warnen, so dick war der Knoten in seinem Hals.
    Klack …
    Klack …
    »Irgendetwas ist hier drinnen«, flüsterte er, nur einen Sekundenbruchteil bevor sie alle das erste leise Zischen hörten.

LXX
     
    MORMON TEARS
     
    Endlich konnte es seinen Kopf in die Höhle strecken. Der Feuerschein versengte seine Netzhaut, doch es spürte den Schmerz nicht. Die Obsession, in deren Bann es selbst jetzt noch stand, ließ alles andere vollkommen bedeutungslos erscheinen. Es war jetzt so nahe dran, dass nichts mehr es aufhalten würde. Alle seine Artgenossen waren tot, dessen war es sich sicher. Ihr stinkender Geruch lag nicht mehr in der Luft. Nur der von ihrem vergossenen Blut und ihrem verwesenden und verbrannten Fleisch. Es hatte selbst seinen Herrn und Meister überlebt, dessen Tod immer noch in seinen Knochen rumorte wie Parasiten, die versuchen, sich aus dem Mark nach außen durchzufressen. Instinktiv wusste die Kreatur, dass auch sie eigentlich nicht mehr auf der Erde sein durfte, doch dieselbe Inbrunst, die sie zu dem gemacht hatte, was sie jetzt war, widersetzte sich jetzt sogar dem Tod. Und jetzt würde das Wesen sich holen, was ihm gehörte.
    Nachdem es sich an den blendenden Lichtschein gewöhnt hatte, konnte es sie sehen. Sie standen auf einem Felssims, gleich dort, wo der Gestank seiner toten Brüder herkam. Es waren acht, alle so voll mit frischem Blut, dass es unwillkürlich zu speicheln begann. Doch einer stach aus der Gruppe heraus. Er hatte eine Aura wie die Korona der Sonne. Sein Herzschlag beschleunigte sich, und das Zischen, das es die ganze Zeit über zurückgehalten hatte, seit es durch den Felsspalt den ersten Lichtschimmer aus der Höhle erblickt hatte, brach endlich aus seiner Kehle.
    Langsam kletterte es aus dem Spalt und presste sich ganz flach an die Decke. Die acht sprachen im Flüsterton miteinander, doch konnte es ihre Stimmen deutlich voneinander unterscheiden. Sie waren abgelenkt, keiner von ihnen schaute auch nur annähernd in seine Richtung. Es kniff seine Augen zusammen, um nicht zu stark geblendet zu werden, dann krabbelte es weiter. Langsam, Zentimeter für Zentimeter, suchte es den Höhlenboden unter sich nach einer geeigneten Stelle ab, um sich von der Decke hinunterzulassen. Da entdeckte es einen Fleck fast undurchdringlicher Schatten, zusätzlich vor den Blicken der anderen geschützt durch mehrere große Tropfsteine, die an der Stelle aus dem Boden ragten. Es vergewisserte sich, dass sie immer noch abgelenkt waren, dann öffnete es seine Klauen und ließ sich von der Decke fallen, drehte sich im Flug wie eine Katze und landete auf allen vieren, um möglichst kein Geräusch zu verursachen.
    Es hob seinen Kopf und spähte hinauf zu dem Felssims. Es hörte leise Schritte auf dem Plateau und hielt den Atem an. Stimmen flüsterten, noch leiser als zuvor.
    Sie hatten es gehört.
    Es stieß ein frustriertes Zischen aus, schlängelte sich um die mächtigen, aus dem Höhlenboden ragenden Tropfsteine zum Fuß des Felssimses, wo es sich auf die Hinterbeine erhob und seinen Körper flach gegen den Stein presste. Seine Krallen machten kaum ein Geräusch, als es ohne Hast die Wand erkletterte, einzig und allein

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