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Sturm der Seelen: Roman

Sturm der Seelen: Roman

Titel: Sturm der Seelen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael McBride
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Verstummen.
    »Ich auch.« Dann ließ er sie endgültig los und ging zum Eingang der Höhle, wo er mit knallroten Fingern einen erstaunlich großen Schneeball formte.
    »Und, äh, was ist mit den Speeren?«, fragte Mare.
    Phoenix kam mit seinem Schneeball heran, und als er ihn Missy präsentierte, sah sie weit mehr, als sie erwartet hatte: Ein langes, grünes Blatt ragte aus der weißen Kugel. In Sekundenschnelle wurde das Blatt dicker, entwickelte sich zu einem Stängel mit einer Blüte, die aussah wie Löwenzahn in der Farbe der untergehenden Sonne. Die Blüte öffnete sich weit, dann vertrocknete sie und bildete einen Strauß aus buschigen Samen.
    »Wünsch dir was«, sagte Phoenix und hielt Missy die Pflanze hin.
    Missy schloss die Augen und umfasste seine Hände. Dann atmete sie tief ein und blies die flauschigen Samenschirmchen davon. Einige blieben an Phoenix’ Anorak hängen, andere schwebten über seine Schulter nach draußen, wo sie von dem Sturm fortgerissen wurden.
    »O Mann, mir wird gleich übel«, sagte Mare und rollte mit den Augen.
    »Was hast du dir gewünscht?«, fragte Phoenix.
    »Wenn ich es dir sage, geht es nicht in Erfüllung.«
    Phoenix lächelte nur und hielt ihre Hände fest umschlossen.
    »Ich glaube aber, das wird es.«
    Hinter ihm sprossen mehrere Dutzend schmaler, grüner Halme aus dem Schnee wie Gras, ihr Ansatz über den Wurzeln rot von Phoenix’ Blut.

XXVII
     
    SALT LAKE CITY
     
    Noch bevor Gray das oberste Stockwerk erreichte, hörte er schon die Schreie. Mit dem Rücken an der Wand schlich er sich die letzten Treppenstufen hinauf und öffnete die Tür zu dem dahinterliegenden Flur gerade so weit, dass er verstohlen hineinsehen konnte. Kleine Öllampen standen vor den Zimmertüren, ihre Flammen ließen unruhige Schatten über die Wände des Gangs tanzen. Das hitzige Stimmengewirr schien um die Ecke herum vom anderen Ende des Korridors zu kommen. Die flackernden Flammen, das hysterische Gebrüll – das alles erinnerte ihn fatal daran, wie er sich die Hölle immer vorgestellt hatte.
    »Ich lasse Sie nicht vorbei!«, kreischte eine Frauenstimme.
    »Ich habe ihn bis hierher gehört«, erwiderte Richard in drohendem Tonfall. »Er träumt. Ich weiß es.«
    »Er ist noch ein kleines Kind! Warum lassen Sie ihn nicht einfach in Ruhe?!«
    »Seine Träume sind der Schlüssel zu unser aller Überleben.«
    »Sie waren es doch, der behauptet hat, dass Sie diese Visionen haben. Alle glauben, Sie wären ein Prophet.«
    »Nun, was soll ich dazu schon sagen?«, entgegnete Richard und legte noch mehr Drohung in seine Stimme. »Ich habe gelogen.«
    Unsichtbare Stille breitete sich im Flur aus wie ein Gespenst.
    »Deshalb brauchen Sie uns also«, sagte Susan schließlich. »Sie müssen wissen, was Jake träumt, damit Sie behaupten können, es wären Ihre Träume!«
    »Kluges Mädchen. Ich hätte gedacht, dass Sie viel länger brauchen, bis Sie dahinterkommen. Ich bin beeindruckt.«
    »Ich lasse nicht zu, dass Sie meinen Sohn benutzen.«
    Gray hielt den Atem an, damit er auch noch das leiseste Geräusch hören würde, schob sich Zentimeter für Zentimeter durch den Türspalt, dann schloss er lautlos die Tür und schlich weiter in die Richtung, aus der die Stimmen kamen.
    »Wie wäre es mit einem kleinen Deal?«, fragte Richard. Er musste direkt hinter der Ecke stehen. »Sie berichten mir jedes Mal unverzüglich, was er geträumt hat, und ich sorge dafür, dass es Ihnen beiden an nichts mangelt. Essen. Wasser. Kleidung. Sie sagen mir, was Sie wollen, und es gehört Ihnen.«
    »Alles, was ich will, ist, dass Sie meinen Sohn in Ruhe lassen. Begreifen Sie denn nicht, dass das alles auch so schon schwer genug für ihn ist?«
    »Es könnte noch viel schlimmer kommen.«
    »Wollen Sie mir drohen?«
    »Ich spreche nur die nackten Tatsachen aus«, erwiderte Richard. »Ich kann Ihnen so vieles bieten. Die Welt da draußen hat sich drastisch verändert, aber das ist kein Grund, dass Sie und Ihr Sohn leben müssen wie Bettler.«
    »Lassen Sie uns in Ruhe!«
    »Susan … nun werden Sie doch endlich vernünftig.«
    Gray hatte jetzt das Ende der Wand erreicht. Die letzten Zentimeter legte er mit kaum wahrnehmbaren Bewegungen zurück, während die Öllampen seinen Schatten um die Ecke vorausschickten.
    »Es ist mir vollkommen egal, was Sie denken. Er ist mein Sohn!«
    »Treffen Sie jetzt keine voreiligen Entscheidungen, die Sie später vielleicht bereuen.«
    »Noch eine Drohung?«, schrie Susan. »Wir werden ja

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