Sturm der Seelen: Roman
mit einem selbstsicheren Lächeln zur Seite.
Schwerfällig, wie in Trance, setzte Susan einen Fuß vor den anderen und vermied die Blicke der anderen. Als sie nach dem Türknauf griff, fiel Richard auf, wie sie zögerte, aber er reagierte nicht schnell genug. Blitzschnell packte Susan Richard am Arm und zog ihn vor sich, dann legte sie ihre Finger um seinen Hals und drückte zu. Richard riss seinen Mund auf wie ein Fisch, der nach Luft schnappt, während unter Susans Fingernägeln das Blut hervorquoll.
Peckham machte einen Schritt nach vorn und presste Susan den Lauf der Schrotflinte gegen die Schläfe.
»Gehen Sie zurück!«, brüllte Susan. »Gehen Sie zurück, oder …!«
Bumm!
Gray zuckte zusammen, konnte seine Augen aber nicht rechtzeitig schließen. Die kleinen Stahlkugeln rissen die obere Hälfte von Susans Schädel mit sich und verteilten ihr Blut über die dahinterliegende Wand; Rauch vermischte sich mit einer Staubwolke aus abgeplatztem Putz.
»Verdammt!«, fluchte Richard und presste sich die Hände über die Ohren. Gesicht und Hemd waren über und über mit Blut und einer weißlich-grauen Masse beschmiert. »Um ein Haar hätten Sie meinen Kopf erwischt!«
Susans Finger lösten sich von seinem Hals, ihr Körper sackte zu einem leblosen Haufen in sich zusammen und hinterließ einen verschmieren Blutstreifen an der Zimmertür hinter ihr.
Gray zitterte am ganzen Körper, denn er konnte nicht fassen, dass sie sie tatsächlich umgebracht hatten. Er fuhr herum und blickte zu der Tür, die hinaus aufs Treppenhaus führte. Seine Augen wurden geradezu magisch von dem Türknauf angezogen, aber er brachte es einfach nicht fertig. Der Drang, seine eigene Haut zu retten, war überwältigend, und er wusste nur zu gut, welches Schicksal ihm bevorstand, wenn sie herausfänden, dass er alles mit angesehen hatte, aber er konnte den kleinen Jungen nicht einfach so zurücklassen.
»Sie hätte Ihnen den Kehlkopf herausgerissen! Was hätte ich denn tun sollen? Einfach zuschauen?!«
Gray spähte wieder um die Ecke. Die drei Männer standen vornübergebeugt um Susans Leiche herum, als wüssten sie selbst nicht, was jetzt als Nächstes passieren würde.
Jetzt oder nie.
Gray spurtete über den Flur und raste durch Richards Suite hinaus auf den Balkon. Eine Wand aus bemalten Betonziegeln grenzte ihn von den anderen Balkonen ab, die Brüstung bestand lediglich aus einem weißen Geländer. Es blieb keine Zeit, um lange nachzudenken. Gray sprang auf das Geländer und hangelte sich um die Trennwand herum hinüber auf den anderen Balkon; kauernd landete er auf der anderen Seite. Der Wind schrie ihm missbilligend in die Ohren und bombardierte ihn mit Schnee, doch Gray war schon wieder aufgesprungen, hatte die Schiebetür vor sich aufgerissen und rannte in das dahinterliegende Zimmer.
Blasse Lichtstrahlen fielen durch die Löcher in der gegenüberliegenden Wand, es roch nach Schießpulver. Gray suchte das Zimmer nach Hinweisen auf den Jungen ab. Die Bettdecken lagen auf dem Boden, das Bett selbst war leer, wie auch der Stuhl neben dem Nachttischchen. Der Wind blähte die Vorhänge neben der Schiebetür auf, als wolle er ihm zeigen, dass Jake sich auch dort nicht versteckt hatte. Gray durchkämmte den ganzen Raum, lief um den runden Tisch, schaute sogar hinter dem kleinen Kühlschrank nach. Auf der Ankleidekommode lagen leere Teller und zerknautschte Kleidungsstücke neben dem nutzlosen Minifernseher. Ein Auge auf die Eingangstür gerichtet, schlich er sich schließlich zum Wandschrank und öffnete ihn vorsichtig. Nichts. Als Nächstes durchsuchte er das Badezimmer, riss die Schiebetür zur Dusche auf. Leer. Wo zum Teufel steckte der Kleine bloß?
»Schafft sie von hier weg!«, brüllte Richard auf der anderen Seite der Zimmertür, seine Stimme obszön laut, um das Dröhnen in seinen Ohren zu übertönen.
»Was sollen wir den anderen erzählen?«
»Sagt ihnen, dass sie versucht hat, mich umzubringen!«
Ständig nach links und rechts schauend schlich Gray sich zurück ins Zimmer. Er konnte hören, wie die anderen Männer weiter miteinander stritten, verstand aber nicht, was sie sagten. Er durfte keine weitere Sekunde verlieren – wenn sie ihn hier drinnen fanden …
Das Bett.
Gray hechtete auf den Boden und riss die Decken hoch – der Junge starrte ihn mit angsterfüllten Augen an.
»Komm mit«, flüsterte Gray und zog Jake an seinem Handgelenk unter der Decke hervor. Das Gesicht des Jungen glänzte nur so vor Tränen,
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