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Sturm der Seelen: Roman

Sturm der Seelen: Roman

Titel: Sturm der Seelen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael McBride
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alles Licht zu ersticken, damit der Schwarm losziehen und seine grausame Bestimmung erfüllen konnte. Wie Eintagsfliegen würden sie sich auf die Erde stürzen, jedoch nicht, um den Fortbestand ihrer Art zu sichern, sondern um Tod und Vernichtung über die letzten Überlebenden der Menschheit zu bringen.
    Krieg wandte seinen Blick wieder ab und ging zurück in den Tempel. Es war etwas an diesem Gotteshaus, das er geradezu liebte. Im Stil einer gotischen Kathedrale erbaut, verströmte es eine fast schon düstere Atmosphäre, die beinahe im Gegensatz stand zu den Riten, die einst darin praktiziert worden waren. An Vorder- und Rückseite des Tempels thronten je drei hohe Türme, der mittlere davon, höher als seine beiden Nachbarn, wies wie ein ausgestreckter Zeigefinger gen Himmel. Der Tempel war geradezu kunstvoll in seiner Einfachheit, und das blässliche Grau der Steine, aus denen er erbaut war, strahlte Macht ebenso wie Grazie aus. Mit ihren runden Fensterbögen erinnerte ihn die Fassade des Tempels auf eine fast schon obszöne Art an den Tower von London, wo einst die gefährlichsten Staatsfeinde hingerichtet und ihre Köpfe zur Abschreckung auf Pfähle gespießt worden waren. Irgendwie schien es ihm passend, dass er von hier aus seinen letzten Angriff starten würde – von einem Schrein, geweiht Gottes Liebe und Seinem Hass, einer Versinnbildlichung der zweigeteilten Natur des Vaters. Und genau dieser Wesenszug ihres Schöpfers war es schließlich gewesen, der sie bis zu diesem Punkt geführt hatte, zu der Klimax Seines großen Experiments.
    Des Experiments Menschheit, das kläglich fehlgeschlagen war.
    Krieg ging die bombastische Treppe hinunter auf die dritte Ebene. In den an die Eingangshalle angrenzenden Räumen wimmelte es nur so von seinen Kriegern. Mit geschlossenen Augen hingen sie an Decke und Wänden, standen Schulter an Schulter in ihren eigenen Exkrementen und warteten, zurückgezogen in die Ödnis ihrer verkümmerten Intellekte, sabbernd auf die hereinbrechende Nacht. Krieg durchschritt einen Raum nach dem anderen, in denen sich das dämmrige Licht in den Schuppenpanzern seiner Armee spiegelte, als wären Boden, Decke und Wände mit Rohöl überzogen. Überall hielten sie sich mit ihren Krallen fest, und es war gerade noch genug Platz zwischen ihren Leibern, dass ein Weg hinunter zum Hauptraum des Tempels frei blieb. Er betrat den riesigen, von einer Kuppel überspannten Raum, doch die Bänke darin waren leer, denn auch hier hingen seine Untertanen lieber an Decke und Wänden und warteten darauf, dass die anbrechende Dunkelheit sie wieder zurück ins Leben rief.
    Nur an der Wand hinter dem Altar hing lediglich ein einzelner seiner Streiter, Arme und Beine um ein großes, goldenes Kreuz geschlungen, den Kopf in den Winkel zwischen Mittel- und Querbalken geschmiegt. Kein anderer hing an dieser Wand, als wollten sie auf keinen Fall auch nur in seine Nähe kommen. Nur er allein krallte sich an diesem Kreuz fest wie an seinem eigenen Leben.
    Neugierig kam Krieg näher heran und konnte deutlich den roten Kehlsack erkennen, der schlaff unter seinem Kinn hing – es war jenes Echsenwesen, das ihm stets auf Schritt und Tritt folgte und verblüffend mehr Intelligenz an den Tag legte als alle anderen. Die Kreatur war ein Mysterium, denn bei dem Menschen, der sie einst gewesen war, hatte es sich offensichtlich um einen gottesfürchtigen Mann gehandelt, und dennoch gehörte er jetzt zu den Verdammten.
    Krieg ging um den Altar herum und packte das Wesen am Fußgelenk, um es zu sich herunterzuziehen. Anstatt loszulassen, hielt es sich jedoch nur umso mehr fest, sodass er mit einiger Kraft ziehen musste und dabei das Kreuz mit aus der Verankerung riss, das krachend vor seinen Füßen zu Boden fiel. Das Wesen öffnete die Augenlider einen Spalt breit, und das Kreuz leuchtete im goldenen Schimmer seiner Augen.
    »Kind … meines«, sagte es mit einer Stimme, die beinahe menschlich klang, nur der letzte Buchstabe klang wie ein Zischen.
    Unter seiner Maske kniff Krieg die Augen zusammen. Hätte er noch Lippen gehabt, er hätte gelächelt. Besessenheit. Sie machte den Weg eines jeden Menschen zu einem schmalen Grat zwischen Gottesfürchtigkeit und Wollust. Dieser hier hatte als Mensch versucht, beiden Pfaden zu folgen, und selbst an der Schwelle seines Todes ließ er nicht von seiner Obsession ab, nahm sie mit in die ewige Verdammnis.
    Schatten glitten über die Fenster zu ihnen herunter, langsam zuerst, dann von

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