Sturm der Verfuehrung
wenn unsere Waisenkinder vierzehn werden, wir Arbeitsplätze für sie in den Nachbarstädten suchen. Wir schauen uns die Betriebe genau an, in die wir unsere Jungen und Mädchen schicken. So wissen wir, was sie dort tun werden, und das bedeutet, dass wir die Fertigungsprozesse bis zu einem gewissen Grad kennenlernen.« Sie warf ihm einen Blick zu. »Ich weiß eine Menge über die Spinnereien und Fabriken in Taunton und Wellington.«
»Wissen Sie auch so viel über die Lagerhäuser und Kais in Watchet?«
»Nein. Darum kümmert sich Mr Skeggs.«
Er sah sie an. »Ich muss mit ihm reden. Vielleicht treffe ich ihn ja irgendwann im Waisenhaus an.«
Sie lächelte. »Nach dem Schlagballspiel sind Sie dort jederzeit willkommen.«
Charlie nickte und richtete den Blick wieder nach vorn.
Ohne sich um die unverhohlene Neugier der Gäste zu scheren, plauderte er an Sarahs Seite mit den alten Ladys, denen er nicht entgehen konnte, und als das Büfett für eröffnet erklärt wurde, hielt er Sarahs Teller, während sie sich auftat, und folgte ihr auf den Fersen an der Tafel entlang, bediente sich ebenfalls, aber nicht aus Appetit, sondern eher der Form halber.
Als sie sich zum Essen an einen kleinen Tisch setzten, gesellten Clary und Gloria sich zu ihnen. Sarah beobachtete amüsiert, wie Charlie auf ihr Geplapper mit betonter Höflichkeit reagierte, wodurch die beiden sich jedoch nicht irritieren ließen. Als die Mädchen wieder zum Büfett gingen, um die Desserts in Augenschein zu nehmen, wurden sie auf dem Rückweg gottlob von Freundinnen abgelenkt.
Auch die restliche Gesellschaft war abgelenkt. Zwar glitten noch immer vereinzelt Blicke in Charlies und Sarahs Richtung, aber die unablässige verstohlene Beobachtung hatte aufgehört. Zum ersten Mal konnte Sarah frei atmen.
Als sie zu Charlie schaute, sah sie, dass er seinen leeren Teller fixierte. Offenbar war er mit seinen Gedanken woanders.
Dann hob er plötzlich den Kopf, und ihre Blicke begegneten sich. Was sie in seinen Augen las, entfachte eine Hitze in ihr, die sich im ganzen Körper ausbreitete. Sarah bekam eine Gänsehaut, und ihre Brustspitzen wurden hart und richteten sich auf.
Sie spürte sich erröten und riss sich gewaltsam los. Sagte sich, dass das Wahnsinn war. Versuchte verzweifelt, sich zu fassen. Doch da war etwas in seinen Augen gewesen, was sie daran erinnerte, wie sein Mund sich auf dem ihren anfühlte, seine Hand auf ihrer Brust - und sie wusste, dass auch er daran dachte.
Sarah brach der Schweiß aus allen Poren.
Charlie war da, ganz nah, und ihre Sinne ließen sich nicht zügeln, wollten mehr. Sofort. Dass die Voraussetzungen dafür, vorsichtig ausgedrückt, ungünstig waren, kümmerte sie scheinbar nicht im Mindesten.
Ohne, dass Sarah etwas dagegen tun konnte, kehrte ihr Blick zu ihm zurück. Er spürte ihn, schaute sie an, stand so abrupt auf, dass sein Stuhl über den Boden schrammte, und streckte ihr die Hand hin. »Kommen Sie.« Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die anderen Gäste, die sich ebenfalls erhoben hatten und auf die Tür zustrebten. »Wie es scheint, müssen wir eine musikalische Darbietung über uns ergehen lassen.«
Sein Ton und die Formulierung machten deutlich, was er davon hielt. Sarah gab ihm ihre Hand und stand auf.
Charlies Griff, die Art, wie er ihren Stuhl aus dem Weg rückte -alles drückte mühsam gezügelte Frustration aus. Und eine Anspannung, die noch größer war als ihre.
Sarah wusste ja nicht genau, was sein Plan für sie vorsah, aber er konnte es offensichtlich kaum erwarten.
Im Kielwasser der anderen ging er mit ihr Richtung Musikzimmer. Sarah schob alle störenden Gedanken weg und konzentrierte sich auf die Befriedigung, die es ihr bereitete, dass er ihre Nähe augenscheinlich ebenso ersehnte wie sie die seine.
Bevor sie das Musikzimmer betraten, hielt Charlie sie zurück und murmelte dicht an ihrem Ohr: »Kommen Sie heute Nacht?«
Sie hätte beinahe »natürlich« geantwortet, aber damit hätte sie sich verraten, und so sagte sie nach kurzem Zögern, als hätte sie erst darüber nachdenken müssen: »Ja, gut.«
Er nickte und geleitete sie in den Raum, führte sie zu zwei freien Stühlen an der Wand. Als sie sich auf einem davon niederließ, dachte sie, dass ein großer Unterschied zwischen Unschuld und Naivität bestand, einer, den Charlie - weder unschuldig noch naiv - anscheinend nicht kannte.
Sie mochte unschuldig sein - naiv war sie nicht.
Das würde er schon bald begreifen - in den
Weitere Kostenlose Bücher