Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
linke Hand. Erst da fiel mir die breite rote Narbe an ihr auf. »Wir sind übrigens genauso froh, dass du noch am Leben bist. Im Unterschied zu Giss und Pork.«
»Was ist mit Mylord Rando?«
»Er lebt, Meloth sei gepriesen. Zumindest hat er das noch getan, als wir ihn verlassen haben«, antwortete Luk und warf einen misstrauischen Blick auf die Gesellschaft am Nebentisch.
Als die Kerle den Nordländer und sein Schwert erblickt hatten, waren sie ziemlich schnell zur Ruhe gekommen. Mit Ga-nor wollte sich keiner von ihnen anlegen.
»Was macht ihr eigentlich hier?«, wollte ich wissen.
»Dich suchen, was dachtest du denn?«, erklärte Luk. »Shen ist der Ansicht gewesen, du bräuchtest Hilfe.«
»Du bist wirklich ein guter Spurenleser«, wandte ich mich an Ga-nor. »Wenn du mich in diesem Nest aufgetrieben hast.«
»Oh, das ist nicht unbedingt mein Verdienst«, entgegnete dieser grinsend. »Yumi hat uns geführt.«
»Aus, du Hund«, fiepte der Waiya und blickte beschämt auf den geleerten Teller, um dann in forscherem Ton nachzuschieben: »Aus, du Hund?«
Er sah fragend auf das Brot. Sobald ich nickte, stopfte er sich beide Backen voll wie ein Hamster.
»Wo ist Ghbabakh?«, erkundigte ich mich. »Wartet er draußen?«
»Schön wär’s«, antwortete Luk. »Nein, er führt die Blasgen in die nächste Schlacht. Sie bilden die Spitze der Armee, die sich nach der Schlacht in Bragun-San neu formiert. Zusammen mit den Nordländern und einigen Rittern. Deshalb konnte er uns nicht begleiten. Yumi aber hat seine Hilfe angeboten – und ohne ihn hätten wir dich nie im Leben gefunden.«
»Warum sitzt dieses Tier auf dem Tisch?«, murmelte die Wirtin, als sie uns das Essen brachte.
Wir verkniffen uns jede Erwiderung und stießen mit dem Shaf an.
Auf unser Wiedersehen.
»Ich mag die Zeit, wenn der Frühling zu Ende geht«, sagte Ga-nor leise. »Da hört es bei mir zu Hause auf zu schneien, und die Tundra leuchtet feuerrot. Vor lauter Blumen.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass du was für Blumen übrig hast«, erwiderte ich mit einem freundlichen Lachen.
»Wenn der Winter Mitte Herbst beginnt und monatelang Schnee bringt, freust du dich über jeden Farbfleck wie über einen Segen Ugs.«
Da hatte er recht. Nach der grauen Aschewüste in Bragun-San war es mir genauso ergangen. Wir saßen auf einem kleineren Hügel und blickten auf einen See, an dessen Ufer bereits junges Schilf stand. Eine kupferrote Sonne ging langsam am Horizont unter.
Da wir es vor Einbruch der Dunkelheit nicht bis zum nächsten Dorf geschafft hatten, waren wir von der Straße abgebogen und hatten an dem See dort unten unser Nachtlager aufgeschlagen. Luk kümmerte sich gerade um das Feuer, während sich der Waiya ein Nest baute.
»Shen hat euch vermutlich gesagt, weshalb ich euch verlassen habe?«
Ga-nor sah mich nachdenklich an, dann nickte er. »Ich weiß, wen wir jagen. Aber bei dieser Sache können wir dir vermutlich kaum helfen. Eine Verdammte ist kein gewöhnlicher Mensch.«
»Richtig. Und das heißt auch, dass du weißt, wie riskant es ist, mich zu begleiten.«
»Auch nicht riskanter, als in diesem Land zu leben. Unser Leben steht jeden Tag auf dem Spiel. Und früher oder später finden sich alle Soldaten in den Eishallen Ugs wieder. Weshalb also Angst haben?«
»Weshalb den Kopf sinnlos riskieren?«
Mit einem Mal bildeten sich Fältchen um seine Augen.
»Scharlach gehört dir«, versicherte er. »Ich bin ihr schon früher begegnet und weiß deshalb, dass ich mit meinem Schwert nichts ausrichte. Das kann nur ein Pfeil schaffen. Gegen sie sind wir dir also keine Hilfe – bei etwaigen Schwierigkeiten unterwegs aber schon.«
Da hatte er recht. Wer heute allein über die Straßen zog, konnte auch gleich mit dem Reich der Tiefe Haschen spielen. Und früher oder später würde er unweigerlich verlieren.
Nun erhob sich Ga-nor und stapfte schweigend zum Lagerfeuer zurück. Ich blieb noch ein Weilchen sitzen, ganz von dem Wunsch erfüllt, keinen Schritt zu tun, ehe die Sonne nicht hinter dem Eichenwald verschwunden war.
Die Einsamkeit ist – auch wenn viele das Gegenteil behaupten – ein schlechter Reisegefährte. Deshalb freute ich mich aufrichtig über die Gesellschaft meiner alten Freunde. Mir war selbst nicht klar gewesen, wie sehr ich mich inzwischen an jene Menschen, mit denen ich Seite an Seite gekämpft hatte, gewöhnt hatte – bis sie dann zu mir gestoßen waren.
Was mich erstaunte, war, wie oft ich an Thia dachte. Es
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