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Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)

Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)

Titel: Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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mag komisch klingen, aber ihre spitzen Bemerkungen und das Gefühl von Gefahr, das ich in ihrer Gegenwart immer empfunden hatte, fehlten mir. Sie war eine starke Persönlichkeit gewesen. Und – hol mich doch das Reich der Tiefe – manchmal beschlichen mich Zweifel, ob sie den Tod wirklich verdient hatte. Aber sie hatte ihr Spiel gespielt, verloren – und war zusammen mit Pork, in dessen Körper sie ein ganzes Jahr lang gelebt hatte, gestorben. Mit dem Ergebnis, dass sie jetzt an dem Ort weilte, an dem sich auch Lepra und Schwindsucht aufhielten: im Reich der Tiefe.
    Sobald die letzten Sonnenstrahlen den Himmel durchbohrten, stapfte ich zum Lagerfeuer zurück. Luk breitete gähnend seinen Umhang auf dem Boden aus und entrollte eine Decke. Yumi saß stocksteif neben dem Feuer und ließ Ga-nor, der das in einer Schenke gekaufte Fleisch zubereitete, keine Sekunde aus den Augen.
    »Ich verzichte auf mein Essen«, sagte ich und schnappte mir meine Decke. »Meine Portion kriegt Yumi.«
    »Aus, du Hund!«, stieß der Waiya aufgeregt aus.
    Für den Bruchteil einer Sekunde war ich sein allerbester Freund.
    Im Halbschlaf hörte ich, wie er begeistert schmatzte, dann mit dem Kessel herumhantierte – und danach so tief einschlief, dass ich nicht einen Pieps mehr von dem untrennbaren Gefährten Ghbabakhs vernahm.
    Ich lief über einen schmalen Pfad, der mit grell orangefarbenen Platten ausgelegt war und durch einen Kastanienwald führte. Die Bäume waren zwar alt, zeigten eine kranke grau-schwarze Rinde und wiesen im Stamm etliche Risse auf, standen aber trotzdem in voller Blüte. Die weißen Kerzen tanzten über den saftig grünen Blättern wie Meeresschaum. Durch die Äste brachen sich die Sonnenstrahlen ihre Bahn. In ihnen wirbelte goldener Staub. Auf den Steinplatten huschten je nach Wind und Bewegung der Zweige Sonnenflecken.
    Vor meiner Nase flatterten Schmetterlinge. Angesichts dieses Gewirrs aus leuchtend blauen und limonengelben Flügeln schwindelte mir bereits. Irgendwo in den Baumkronen zwitscherten Fliegenschnäpper. Ihnen antwortete ein einsames Rotkehlchen. Der muntere Vogelgesang ließ den ohnehin friedvollen Ort wie ein Abbild der Glücklichen Gärten wirken.
    Ein kleiner Wasserfall rauschte. Über einen breiten, klaren Bach führte eine schmiedeeiserne Brücke. Das kristallklare Wasser schoss lilafarbene, mit weißen Blumen bestandene Felsen herab und verlor sich in der Ferne zwischen den knorrigen Wurzeln der alten Kastanien. Ich stiefelte zu diesem Bach hinunter und stellte mich auf einen flachen Stein, der kaum aus dem Wasser herausragte. Tief sog ich die frische Luft und den Duft der unbekannten Blumen in mich ein. Der Sand auf dem Grund des Baches schimmerte golden. Ich formte aus meinen Händen eine Schale, schöpfte etwas Wasser und trank es. Erstaunlicherweise schmeckte es ein wenig nach Honig.
    Anschließend kraxelte ich wieder hinauf und überquerte die Brücke. Nun verbreiterte sich der orangefarbene Pfad. Die Zweige der Kastanien waren so miteinander verflochten, dass sie ein regelrechtes Dach bildeten. Weiter vorn lichtete sich der Wald jedoch. Kaum hatte ich ihn durchmessen, fand ich mich an einem Hang wieder, der sanft in unendliche Tiefe abfiel.
    Bei dem Anblick stockte mir der Atem. Rund um das Tal erhoben sich hohe Berge. Im Tal selbst glitzerte ein breiter Fluss, den Dutzende von Inseln durchsetzten. Die Ufer, das Tal und alle Berge waren mit einem dicken Teppich aus rosafarbenem Klee überzogen, über dem mit eifrigem Gesumm Tausende von Hummeln schwebten. Die blendend weißen Schäfchenwolken hingen so tief, dass einige die Gipfel auf der anderen Seite des Tals einhüllten und die Sicht versperrten.
    Der Pfad endete an diesem Hang allerdings nicht, sondern führte ihn hinunter. Nach zwanzig Yard verwandelte er sich in eine endlose Treppe. Auf der obersten Stufe saß mein alter Bekannter. Neben ihm lag seine fadenscheinige dunkelgrüne Leinentasche.
    Sobald ich ihn erreichte, rückte Garrett ein wenig zur Seite, damit ich mich neben ihn setzen konnte.
    »Ein schöner Ort, nicht wahr?«, fragte er mich.
    Ich sah ihn nachdenklich an. Auf seinem Gesicht lag ein unendlich müder Ausdruck.
    »Ja«, antwortete ich, während ich auf die Wolken über dem Tal blickte.
    Ich hätte gern gewusst, was sich hinter ihnen versteckte, aber in ihren wenigen Rissen war kaum etwas zu erkennen.
    Als hätte der Wind meine Gedanken gelesen, schlug er in den flaumigen Vorhang nun eine Bresche, die groß genug

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