Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
Pfaden untereinander verbunden waren, während die übrige Fläche schwarzes Wasser einnahm. Dieses lag meist ruhig, nur hin und wieder stiegen vom Grund Blasen auf. Ab und an hörten wir es auch laut platschen, als spielte irgendwo ein Fisch. Urwe behauptete sogar, eine gigantische Flosse gesehen zu haben. Doch wer auch immer in diesem Gewässer leben mochte, er ließ uns zufrieden. Genau wie wir ihn. Was alles in allem eine recht gute Lösung war.
Bei einer unserer Rasten verletzte Faulpelz mit einem Pfeil eine Ente, die jedoch noch eine Weile wild mit den Flügeln schlug und weit von uns entfernt ins Wasser fiel. Kurz darauf erhob sich ein Schatten aus der Tiefe. Ein riesiges zahnloses Maul zeigte sich, schnappte zu, der flache Schwanz peitschte eine ganze Fontäne Spritzer in die Luft. Danach verschwand das Monstrum wieder. Ich hatte es kaum zu Gesicht bekommen, aber nach meinen Schätzungen hätte dieses Biest notfalls auch eine ganze Kuh verschlingen können.
»Das Viech hat doch wohl nicht auch Hunger auf uns?!«, fragte Dreiauge ziemlich gelassen. Nur seine riesigen Segelohren waren bleicher als sonst.
»Ich hoffe nicht«, antwortete Urwe. »Trotzdem sollten wir lieber einen Zahn zulegen, Freunde. Und wenn wir hier rauskommen, kannst du dich vor allen Fischern dicketun, was für einen Fang du beinahe gemacht hättest.«
»Nur bin ich mir gar nicht sicher, dass das ein Fisch war«, entgegnete Faulpelz. »Ich habe nämlich mindestens ein Paar Hände gesehen.«
Für unser Nachtlager wählten wir einen schmalen Flecken, der mit Büschen und Birken bewachsen war. Letztere hielten nicht mal eine halbe Stunde gegen unsere Äxte stand. Wir zündeten Lagerfeuer an, um uns wenigstens etwas zu wärmen und die Kleidung zu trocknen.
Da Ghbabakh nicht mehr bei uns war, hatte Yumi offenbar mich zu seinem besten Freund auserkoren und zwitscherte mir die ganze Zeit etwas von seinem Hund vor. Ich nickte bloß an den nötigen Stellen – genauer gesagt, an
den
Stellen, die ich für die nötigen hielt.
Der Waiya wurde von allen geradezu gemästet, obwohl wir nur noch beängstigend wenig Proviant hatten. Wenn es uns gelang, jeden Tag ein paar Vögel zu erlegen, war das schon ein großes Glück. Trotzdem sorgten ausnahmslos alle für Yumis leibliches Wohl. Denn die Männer wussten, dass er unsere einzige Rettung in den Sümpfen der Ödnis war. Wenn der kleine Kerl zu weit vorauseilte, machte ich mir stets ernsthafte Sorgen, irgendein Mistvieh könne ihn verschlungen haben. Zum Glück hatte bisher aber noch nie einer der Sumpfbewohner den Wunsch gehabt, Yumi auf seinen Speiseplan zu setzen.
Wenn er sein tägliches Pensum an Geplapper losgeworden war, fiel er über sein Abendessen her und klaubte anschließend alle Krümel aus dem Moos zusammen, um sie sich in den Mund zu stopfen.
»Aus, du Hund?«
»In dich geht wirklich eine enorme Menge rein, mein Freund«, sagte ich ihm.
Daraufhin legte er sich in bester Gemütsverfassung schlafen. An schlechter Laune litt Yumi ohnehin selten, und wenn ihm doch mal etwas die Stimmung verhagelte, dann nur für kurze Zeit.
Ich sprach noch mit meinen Männern. Obwohl alle hundemüde waren, hielten sie sich hervorragend und machten immer wieder Witze. Die Nordländer spielten sogar auf dem Dudelsack, den sie trotz des beschwerlichen Weges nicht hatten zurücklassen wollen. So begleitete uns häufig ein getragenes Lied auf unserem Marsch.
Mitten in der Unterhaltung kam Mylord Rando zu mir und bat mich zur Seite. Wir zogen uns an den Rand der Insel zurück und beobachteten, wie der Nebel den Sumpf abermals schluckte.
»Wir beide haben schon eine lange Strecke hinter uns gebracht, Ness«, sagte er zu meiner Überraschung.
»Da habt Ihr recht, Mylord. Aber unser Weg ist noch nicht zu Ende.«
»Das will ich doch hoffen.«
Der Sumpf gab einen langen, getragenen Ton von sich, fast als ob jemand schrie. Dann senkte sich wieder Stille herab.
»Dieser Ort ist unheimlich.«
»Aber als Ihr von der Straße gehört habt, da habt Ihr sofort zugestimmt, sie zu nehmen. Wisst Ihr noch etwas über diese Sümpfe?«
»Nur das, was alle wissen, die die alten Chroniken gelesen haben. Früher hat es all das nicht gegeben«, erklärte er und deutete auf das schwarze Wasser. »Da waren hier keine Sümpfe, sondern nur unzählige kristallklare Seen, die sich aus Flüssen speisten, die ihrerseits in den Gletschern der Katuger Berge entsprangen. Diese Seen waren wesentlich größer als die, die heute als die
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