Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
Großen Seen unterwegs, der Verdammte Pest hatte vier Siege in Folge errungen. Nun konnten ihre Feinde geradewegs nach Korunn ziehen …
In weniger als vier Monaten würde der Krieg auch diese Gegend erreicht haben, das wussten alle, die gerade in dieser Schenke die Lage durchhechelten.
»Ihr gestattet, Herrin?«
Sie sah auf. Vor ihr stand der Reiter, der gestern zu ihnen gestoßen war. Bisher hatte Algha kein Wort mit ihm gewechselt, wusste nicht einmal seinen Namen.
Sie wollte schon ablehnen, zögerte dann aber. Einerseits wollte sie nicht unhöflich erscheinen, andererseits hegte sie nach der Begegnung mit dem falschen Boten und Dawy nicht den geringsten Wunsch, Unbekannte an ihrem Tisch Platz nehmen zu lassen.
»Verzeiht, ich vergesse völlig meine Manieren«, sagte der Mann. Mit der Hand am Schwert verbeugte er sich, ihr Schweigen offenbar falsch auslegend: Im Westen des Imperiums gab es den Brauch, dass man nur mit jemandem an einem Tisch saß, dessen Namen man kannte. »Lofer rey Gant. Zu Euren Diensten.«
»Rona«, stellte sie sich, da sie ihren eigenen Namen nicht nennen wollte, mit dem ihrer Schwester vor. Dann überwand sie sich und fügte hinzu: »Setzt Euch doch, Mylord.«
Der Mann bedeutete dem Schankwirt mit einem Zeichen, er möge sein Frühstück bringen, warf die Reithandschuhe auf die Bank und nahm Platz.
»Ihr trinkt Milch?«, fragte er mit einem Blick auf ihr Glas, um sich schließlich lächelnd zu erkundigen: »Ihr mögt wohl keinen Shaf, Herrin?«
»Nicht sehr«, antwortete sie. »Und nennt mich bitte nicht ständig Herrin. Wenn ich eine wäre, würde ich in einer Kutsche reisen, nicht auf einem Karren.«
»Eine Kutsche, Kleidung und Juwelen, all das sind rein äußerliche Merkmale. Sie besagen im Grunde gar nichts. Trotzdem werde ich Eure Bitte mit Freuden erfüllen, Rona. Fortan werde ich die Anrede
Herrin
nicht mehr verwenden, wenn sie Euch so missfällt.«
Ihm wurden Shaf und eine ebensolche Taube mit Käse und Brot gebracht, wie auch Algha sie gegessen hatte. Mit dem Dolch machte Lofer sich über das Mal her. Schweigen breitete sich aus. Algha trank ihre Milch aus, lehnte sich gegen die Wand und lauschte darauf, wie der Anführer ihres Zuges mit einem der Soldaten darüber stritt, ob der Koloss des Skulptors Korunn schützen werde.
»Wenn uns die Schwerter nicht helfen, wird es die Magie kaum tun«, erklärte Lofer da und schob seinen Teller zur Seite. Er hatte sein Frühstück ziemlich schnell beendet.
»Ihr glaubt nicht an die Kraft des Koloss?«
»Ich glaube an nichts, was ich nicht mit eigenen Augen gesehen habe. Gerüchte sind ein ungeeignetes Mittel, das Land zu verteidigen. Auf sie zu vertrauen, käme mir nie in den Sinn. Nehmen wir nur die Burg der Sechs Türme. Sie galt als uneinnehmbar. Genau wie die Treppe des Gehenkten. Doch wer hält heute beides in Händen?«
»Habt Ihr gekämpft, Mylord?«
»Selbstverständlich. Mein Regiment stand bei Altz, als die Feinde in unser Land einfielen. Habt Ihr schon einmal von den Leoparden des Imperiums gehört?«
Sie schüttelte bedauernd den Kopf.
»Wir sind von den Nabatorern geradezu überrannt worden«, sagte der Mann.
»Trotzdem konntet Ihr nach Norden vordringen.«
»Und nicht nur ich allein, wie ich hoffe. Aber ich habe den ganzen Winter für diese Strecke gebraucht.«
»Wie seid Ihr überhaupt hier hergekommen? Ich habe gehört, Burg Donnerhauer hat ihre Tore geschlossen.«
»Stimmt, aber zu Beginn des Frühlings wurden sie wieder geöffnet«, antwortete er, um dann zu fragen: »Woher seid Ihr?«
Sie nannte die Stadt, in der die Priesterinnen lebten.
»Nicht zu fassen!«, rief Lofer erstaunt aus. »Das hätte ich nie im Leben für möglich gehalten. Ihr habt eine sehr klare Aussprache, ohne den Akzent, der in jener Gegend typisch ist. Daher hätte ich eher vermutet, Ihr seid aus Korunn, obwohl Ihr äußerlich ebenso gut aus dem Süden stammen könntet.«
»Dieser Fehler unterläuft vielen, Mylord«, sagte sie und lächelte das erste Mal.
Er antwortete mit einem weiteren Lächeln und steckte den Dolch in die Scheide zurück.
»Vielen Dank für die angenehme Gesellschaft, Rona.«
»Ihr seid in Eile?«
»Ja. Aber solange wir den Wald noch nicht hinter uns gelassen haben – und das wird erst in drei Tagen der Fall sein –, werde ich mit Euch reiten.«
»Warum das?«
»Der Kommandeur der Soldaten hat mich um diese Gefälligkeit gebeten«, antwortete Lofer. »Angeblich sind finstere Gestalten auf der
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