Sturm im Elfenland
allen anderen Zwergen trennen. Wir wissen nicht, wozu er sonst in der Lage wäre.«
Auberon und ich reisten am nächsten Morgen ab. Meine letzte Nacht tief unter Tage überstand ich im Halbschlaf, in dem grässliche Erscheinungen durch meine Träume wanderten. Immer wieder schreckte ich empor, in Schweiß gebadet, weil Stimmen in mein Ohr flüsterten oder ich glaubte, glühende Augen auf mich gerichtet zu sehen.
Die Angst vor dem, was sich unter diesen Erscheinungen verbarg, hielt mich davon ab, mich in die Arme des tiefen Schlafes zu flüchten. So dämmerte ich dem Morgen entgegen, zu müde, um mich an den Tisch zu setzen und meine Aufzeichnungen zu erneuern.
Als endlich an meine Tür gehämmert wurde, erhob ich mich nicht erfrischter von meinem Lager, als ich mich zuvor darauf niedergelegt hatte.
Vetle war es, der mich mit einem Frühstück in den Händen weckte. Er wollte sich nach meinem Befinden erkundigen, und ich sah seinem Gesicht an, dessen Ausdruck ich inzwischen gut deuten gelernt hatte, dass er sich ernstlich Sorgen um mich machte.
Ich trank den heißen Tee in langen Zügen und strich dabei gedankenlos über die verbrannte Stelle in meiner Hand. »Habt ihr den Stein wieder zu den anderen gelegt?«, fragte ich ohne großes Interesse.
Vetle schien die Frage zu belustigen. »Nein, natürlich nicht«, erwiderte er. »Er war ja nicht mehr ungebunden.«
Ich schob ein Stück Brot über den flachen Stein, auf dem es lag. So hungrig ich gestern gewesen war, so appetitlos war ich heute. Ich entschied, dass es vernünftig war, etwas zu mir zu nehmen, und brach ein Stück Brot ab. »Was geschieht nun mit ihm?«, fragte ich und steckte es in den Mund.
Vetle sah mich verständnislos an. »Wie meinst du das?«, fragte er höflich.
»Der Stein.« Mir fehlte die Kraft und auch die Geduld, ebenfalls höflich zu antworten. »Was macht ihr damit? Wenn er euch nicht mehr dienlich ist, könnte ich ihn doch ...«
Vetle schmunzelte. »Es ist dein Stein. Niemand kann darüber bestimmen außer dir allein. Du kannst darüber verfügen, wie es dir beliebt.«
»Dann würde ich ihn gerne mitnehmen.« Seine Auskunft erleichterte mich auf ganz erstaunliche Weise. Warum lag mir so an diesem Stück totem Gestein? Es ist nicht Elfenart, sich an die alten Kinder der Erde zu hängen.
Vetle schien verdutzt. Hatte ich ihn falsch verstanden?
»Du hast ihn in Besitz«, sagte er schließlich. »Er gehört bereits dir. Ich kann dir nicht geben, was dir schon gehört.«
Wir sahen uns eine Weile hilflos an. Offensichtlich gab es da etwas, das ich nicht verstand und das er mir nicht erklären konnte ‒ oder wollte?
Schließlich riss mir der am heutigen Morgen etwas dünn geratene Geduldsfaden. »Beim verlausten Bart eures Orrin, dann hole mir doch endlich diesen Stein!«
Vetle traten die Augen aus dem Kopf. Dann begann er zu meiner Überraschung laut zu lachen. Glucksend und kichernd wie ein Zwergenmädchen, kam er zu mir und setzte sich neben mich.
»Wo versteckt ihr eigentlich eure Frauen?«, hörte ich mich fragen. Im gleichen Moment bereute ich die Frage auch schon, denn ich wusste nicht, ob das ein Thema war, das man einem Zwerg gegenüber ungestraft ansprechen durfte.
Vetle nahm sie aber nicht übel. »Frauen unter Tage?«, erwiderte er beinahe entsetzt.
»Bringt das Unglück? Verbietet es euer Orrin?«
Wieder lachte der Zwerg. »Nein, nein. Es gibt ein paar, die hier unten arbeiten wie wir Männer. Aber die meisten Frauen sind wie Elfen«, er zwinkerte mir zu, »sie lieben den Himmel und alles, was grünt und blüht, und würden sich niemals unter Tage einsperren lassen.« Er machte eine weit ausholende Handbewegung und erzählte mir von den Dörfern und Städten der Zwergenfrauen, die rund um den Berg angesiedelt waren.
Dann kam er auf das ursprüngliche Thema zurück. »Dein Stein«, sagte er. »Darf ich kurz deine Hand berühren?«
Ich überließ sie ihm verwundert. Er griff sie mit seiner breiten Pranke und blickte lange ins Leere. Dann ließ er meine Hand los und nickte nachdrücklich. »Ihr Elfen seid seltsame Geschöpfe«, konstatierte er. »Aber gut. Wenn du deinen Stein in der Hand halten willst, wirst du ihn rufen müssen.« Er legte seine Hand offen auf den Tisch. Dann bewegte er mit einer auffordernden Geste die Finger und sah mich erwartungsvoll an.
Ich machte es ihm nach. Nichts geschah. Vetle schüttelte den Kopf.
»Du musst ihn rufen«, wiederholte er geduldig.
Ich wusste nicht, wie ich das zu
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