Sturm im Elfenland
sich damit zufriedengeben, ob es ihr nun gefiel oder nicht. Sie zuckte die Achseln und verließ die Bibliothek.
Auf dem Weg zu Garnet dachte sie über das nach, was Erramun ihr erzählt hatte. Sie stieß wütend einen Kiesel mit dem Fuß fort. Wie konnte Ivaylo sie einfach so sitzen lassen? Was sollte sie jetzt tun? Wie konnte sie Sverre gegenübertreten? Ivaylo hatte nicht nur sie, sondern auch den Zwerg schnöde im Stich gelassen, und das missfiel ihr noch mehr.
»Er ist also doch nur ein dummer, eingebildeter Kerl«, sagte sie laut und enttäuscht. Und wenn er auf dem Königsstein auftauchte, konnte er sich auf den Kopf stellen, sie würde ganz sicher nicht mit ihm tanzen!
I
ch war erstaunt, wie unsicher ich auf den Beinen war. Vetle schlug einen schnellen Schritt an, während er uns durch einen düsteren Gang führte. Ich schleppte mich hinterher und wünschte mir nichts sehnlicher als ein Lager irgendwo unter freiem Himmel.
Auberon, der schließlich bemerkte, dass ich nicht Schritt halten konnte, verharrte und wartete auf mich. Er griff nach meinem Arm und drückte ihn. »Ich habe dich mit meiner Anschuldigung verletzt. Vergib mir, mein Freund.«
Er ging neben mir her und sah voraus auf den Weg. Ich betrachtete sein Profil, das entschlossene Härte und düstere Melancholie gleichermaßen ausstrahlte. Meine Kehle wurde eng.
»Auberon«, sagte ich leise, »du verzehrst dich, als wäre dein Herz ein Flammenstein, wie ich ihn gehalten habe. Dauert diese Zeit der Trauer und Angst nicht schon zu lange an?«
Er sah mich nicht an und erwiderte nichts, aber der Druck seiner Hand auf meinem Arm verstärkte sich.
»Wo bleibt ihr?«, hörte ich Vetle rufen.
»Wir kommen«, antwortete Auberon laut. »Nehmt ein wenig Rücksicht, ihr Zwerge. Mein Gefolgsmann ist erschöpft.«
Wieder standen wir vor einer verschlossenen Tür. Ich lehnte mich einen Augenblick lang an die kalte Wand und schloss die Augen. Die Zwerge und Auberon berieten murmelnd miteinander. Dann hörte ich Auberon laut und entschieden sagen: »Wir sind schon zu lange hier unten. Ich brauche bald einen Sonnenstrahl und einen freien Blick, sonst vergehe ich wie ein Baum, dessen Wurzeln durchtrennt wurden. Kein Aufschub mehr. Ihr habt uns an eurem Wissen und eurer geheimen Magie teilhaben lassen. Doch nun ist es an der Zeit, dass wir der Gefahr ins Auge sehen, die die Dämonentore mit sich bringen. Was auch immer es ist, lasst uns erledigen, was zu erledigen ist.«
Die Tür wurde geöffnet, wir traten ein.
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber ganz sicher war es nicht dieses freundliche, wenn auch karg eingerichtete Zimmer. Dies war keine Werkstatt, kein Lager, kein Labor, sondern allem Anschein nach der Wohnraum eines Zwerges, der sich bei unserem Eintreten von seinem Lager erhob, auf dem er geruht hatte. Er sah uns nicht an.
»Gaute, wie geht es dir heute?«, fragte Trond Hammerschlag.
Der Zwerg nickte. Sein rötlich-braunes Haar hing ungeflochten über seine Schultern, der Bart erschien mir unordentlich und zerzaust. Wir hatten ihn mit unserem Eindringen offensichtlich aus dem Schlaf gerissen. Er wandte sich ab und knöpfte sein Wams zu. Trond Hammerschlag beobachtete ihn dabei mit deutlicher Sorge und beinahe so etwas wie Furcht im Gesicht.
Fragend sah ich Vetle an. Warum hatte er uns hierher geführt?
Der Zwergenmagier legte einen Finger auf die Lippen und deutete dann auf den Boden. Ich folgte seinem Fingerzeig, ohne gleich zu erkennen, was er mir sagen wollte.
Dann sah ich es. Gaute bewegte sein Bein, und etwas Silbernes blinkte für einen kurzen Moment auf, bevor die Hose es wieder verdeckte.
Ich kannte diesen Anblick. Der Zwerg war mit einer Fessel aus Feensilber gebannt worden. Aber warum? Hier, im Herzen der Kronfeste, gefangen gehalten von seinesgleichen ‒ was ergab das für einen Sinn?
»Gaute, ich möchte, dass du dich mit unseren Gästen unterhältst«, forderte Trond den Zwerg auf.
Gaute nickte kurz, beinahe unhöflich und deutete auf eine Gruppe von Stühlen und einer Steinbank.
Ich neigte mich zu Vetle und hauchte: »Ist er stumm?«
»Im Gegenteil«, erwiderte Vetle. Es sollte wie ein Scherz klingen, das sah ich ihm an, aber sein Tonfall schwankte zwischen Entsetzen und Furcht. Was war so schreckenerregend oder gefährlich an diesem unscheinbaren Zwerg, dass Vetle Angst empfand und seine Leute ihn mit Feensilber banden?
Gaute schlurfte zu der Steinbank und ließ sich darauf nieder. Er wartete, bis wir
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