Sturm: Roman (German Edition)
nicht dafür danken, wenn du bei uns geblieben wärst«, schoss er seinen nächsten Pfeil ab.
Kinah runzelte die Stirn und setzte zu einer Antwort an, doch Lubaya war schneller. »Sie hat euch verlassen, um euch zu schützen.«
»Ja, das habe ich schon mal gehört«, brummte Dirk. »Aber warum? Weil sie der al-Qaida beitreten wollte und ihre neuen Freunde nicht wissen durften, dass sie eine spießige Familie in München hat?«
Lubaya winkte ärgerlich ab, und der Strahl der Taschenlampe folgte ihrer Bewegung. »Das ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt für schlechte Scherze.«
»Das war kein Scherz.« Dirk bemühte sich, so ruhig wie möglich zu bleiben. »Ihr seid doch Mitglieder in irgendeiner Organisation. Und diese Mitgliedschaft kann nicht ganz harmlos sein, sonst wäre Akuyi noch in München. Oder täusche ich mich da?«
»Ja und nein.« Nun ähnelte Lubaya einem Catcher, der mit wütendem Gesichtsausdruck seinen Gegner angreift. »Wir sind keine Organisation. Wir sind nichts weiter als eine Gruppe von Menschen, die weder das Wissen der Ahnen verleugnen noch das der Männer und Frauen, die ernsthaft nach Wissen streben. Die begreifen, was es mit den Katastrophen auf sich hat, die uns alle bedrohen. Mit den Hurrikanen, die die amerikanische Küste zerfetzen, mit den Seebeben, die mit Tsunamis die Küsten des Pazifiks umpflügen, mit den Tornados, die inzwischen auch Europa heimsuchen und selbst dort Menschenleben fordern, wo man sich noch vor wenigen Jahren vor derartigen Naturkatastrophen in Sicherheit wähnte …«
»Ja, das alles ist schrecklich«, unterbrach sie Dirk. »Aber was hat das mit meiner Tochter zu tun?«
»Mehr, als du ahnst, weißer Mann«, antwortete Lubaya.
»Und was soll das nun wieder heißen?«
»Hört auf! Alle beide!« Kinah wandte sich an Dirk. »Wir werden darüber sprechen. Aber nicht hier und jetzt.«
Sondern bei einem Scheidungsanwalt? Er sprach den Gedanken nicht aus, doch auch diesmal schien sie ihm anzusehen, was in ihm vorging.
Sie drehte sich ruckartig weg. »Wir sollten besser keine Zeit verschwenden.«
»Okay.« Dirk räusperte sich. »Aber vielleicht ist es besser, wenn einer von uns hier Wache hält. Nur für den Fall, dass jemand … kommt.«
Kinah wandte sich erneut zu ihm um. »Was ist los? Bist du meiner schon wieder überdrüssig?« Da war nicht wie früher Ironie in ihrer Stimme, sondern nur Ungeduld.
»Nein, ganz im Gegenteil. Es ist bloß …« – er geriet beinahe ins Stammeln –, »vorhin gab es hier irgendwo eine Schießerei. Wir müssen vorsichtig sein.«
»Vorsichtig wobei?« Kinah legte den Kopf schief. Jetzt hatte sie tatsächlich Ähnlichkeit mit einer Katze, aber mit einer fauchenden Katze, die im nächsten Moment angreifen würde. »Sind wir etwa unvorsichtig, wenn wir zusammenbleiben?«
»Nein«, widersprach Dirk. »Aber auch Olowski hat gesagt …«
»Jan?« Durch Kinah ging sichtlich ein Ruck. »Du hast Jan getroffen? Wo ist er?«
Dirk starrte Kinah schweigend an. War das so? War er bloß der nervende Ex und Jan der neue Mann in ihrem Leben? Und war es zum Teil seine Schuld, dass dieser neue Mann nie wieder auftauchen würde?
»Was ist los?«, fragte Kinah plötzlich scharf. »Wenn du Jan gesehen hast, musst du mir doch sagen können, wo er ist!«
Begraben unter einem Berg von Gestein, weil er mir geholfen hat und ich ihn dann im Stich ließ. Dirks schlechtes Gewissen meldete sich mit aller Gewalt zu Wort. Kinah würde schon bald merken, dass etwas nicht stimmte.
Lubaya trat neben Kinah und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. Kinah, die, wenn sie wütend oder aufgebracht war, eigentlich keine Berührung zuließ, duldete das. Mehr noch – sie ergriff ihrerseits Lubayas Schulter. »Was ist mit Jan? Sag es mir!«
Bislang war Lubaya nie um eine Antwort verlegen gewesen, aber nun stockte ihre Stimme. »Auf dem Weg hierher sind wir durch eine einstürzende Grotte gelaufen. Daher stammten auch die Erschütterungen, die du gespürt hast.«
»Die Grotte ist eingestürzt, während ihr noch darin wart?«, wiederholte Kinah.
Lubaya nickte schweigend.
»Und … und Jan …«
»Dirk und ich haben es in letzter Sekunde geschafft«, antwortete Lubaya. »Es war der reinste Weltuntergang. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele Tonnen Gestein dort heruntergekommen sind.«
»Sag, dass das nicht wahr ist!«, schrie Kinah. »Sag, dass ihr Jan nicht dort zurückgelassen habt!«
»Ich musste mich um Dirk kümmern«, verteidigte sich
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