Sturm: Roman (German Edition)
dass seine Zunge wie ein welkes Blatt an seinem Gaumen klebte, und die Gewissheit, dass er sterben würde, wenn er nicht bald aus dieser sich scheinbar ins Endlose erstreckenden Wüste herauskam. Zuerst hatte er versucht, die Richtung anhand des Stands der Sonne zu bestimmen, und immer wieder hatte er mit zusammengekniffenen Augen zum fernen Horizont gestarrt, auf der Suche nach etwas anderem als Sanddünen, Sandverschüttungen, Sandpisten, Sand, Sand, Sand …
Vergeblich. Er hatte von Anfang an nicht wirklich gewusst, welche Richtung Rettung verhieß, aber er hatte sich immerhin bemüht, auf dem einmal eingeschlagenen Kurs zu bleiben, damit er nicht im Kreis lief. Doch mittlerweile hatte er auch das aufgegeben. Die Umgebung verschwamm vor seinen Augen, die Konturen gingen im Goldgelb unter, das überall war, egal wohin er blickte. Seine Füße bewegten sich scheinbar ohne sein Zutun, angetrieben von drei magischen Wörtern.
Durst. Trinken. Sofort.
Es war sinnlos, und tief in seinem Herzen wusste er das. Kinah hatte er irgendwo hinter sich gelassen, in einer Höhle am Wüstenrand oder in einer Grotte am Meer, über die der Sturm hinweggefegt war. Es war gleichgültig. Nun zählte nur noch, dass er ganz alleine in der flammenden Sonne unterwegs war, verlassen von allen Menschen, die ihm je etwas bedeutet hatten.
Das Brennen in seinem Hals trieb ihn in den Wahnsinn. Aber es hielt ihn aufrecht. Falls man noch von ›aufrecht‹ reden konnte … Längst torkelte er mit gebeugtem Oberkörper und gesenktem Kopf voran, den Blick zu Boden gerichtet, Mund, Augen und Ohren voller Sand.
Sand, Sand, Sand … der sich fast unmerklich veränderte, von Goldgelb zu Rotbraun, von gleichmäßiger Körnung zu etwas, das erst zaghaft zu Flecken zusammenwuchs und sich dann immer mehr verdichtete. Dirk registrierte es kaum. Er musste weitertaumeln, unermüdlich und ohne Pause. Er musste sein Ziel erreichen. Er musste Wasser finden, seine Hände darin eintauchen, sie wie Schöpfkellen umdrehen und das köstliche Nass an seine zersprungenen, aufgeplatzten Lippen führen; schlürfen und trinken, bis er seinen Durst gestillt hatte.
Durst. Trinken. Sofort.
Der Boden veränderte sich abermals. Zu den Rotbrauntönen gesellten sich schwarze Flecken – Erde, die einen immerwährenden Kampf mit dem Sand führte, der sie verschlingen, sich über sie ausbreiten wollte. Auch das nahm Dirk nicht bewusst war. Erst der Geruch von Feuer durchbrach seine erschöpfte Trance, ließ ihn aufschrecken.
Er hob den Kopf. Eben noch war er in der Wüste gewesen, dessen war er ganz sicher. Jetzt hatte sich seine Umgebung jedoch vollkommen verändert. Es war eine karge Steppenlandschaft, in die er hineingestolpert war. Direkt vor ihm brannte ein Lagerfeuer, das seine Funken in den rötlichen Abendhimmel schleuderte.
Am Feuer saß jemand, der ihm nur zu gut bekannt war: der Alte.
Er stocherte mit einem Stock im Feuer herum, als wollte er es vor Hitze sprühen lassen. Als Dirk auf ihn zuwankte, blickte er nicht einmal auf. Und doch hatte der Alte ihn zweifelsohne bemerkt, denn er umfasste mit der linken Hand eine Feldflasche und hob sie hoch.
»Wasser«, krächzte Dirk.
Er griff nach der Flasche, aber der Alte riss sie mit einer beiläufig wirkenden Bewegung nach unten und legte sie neben sich ab. »Später«, sagte er knapp. »Setz dich.«
Dirk hätte die Flasche am liebsten mit Gewalt an sich genommen, aber irgendetwas in der Stimme des Alten hielt ihn davon ab. Einen Augenblick lang blieb er noch trotzig stehen, dann folgte er der Aufforderung des Schamanen.
Er hätte auch gar nicht anders gekonnt, denn jetzt, da er nicht mehr im sturen Überlebenskampf einen Fuß vor den anderen setzen musste, gaben seine Beine nach, sodass er regelrecht in sich zusammensank.
»Ich hatte schon Sorge, dass du mich nicht finden würdest«, sagte der Alte.
Dirk antwortete nicht. Seine Kehle war wund und derart trocken, dass er nicht einmal mehr schlucken konnte.
»Wer sein Ziel aus den Augen verliert, kommt niemals an.« Der Alte stocherte ungerührt weiter im Feuer. Obwohl die Funken um Dirk herumsprühten, spürte er die Hitze nicht. Er war mittlerweile Schlimmeres gewohnt. »Und wer sein Ziel verleugnet, der darf sich über sein Scheitern nicht wundern.«
»Ich habe mein Ziel nicht verleugnet«, wollte Dirk entgegnen. Doch er brachte nur ein heiseres Krächzen zustande.
Der Alte sah auf, als hätte Dirk etwas Wichtiges von sich gegeben. »Ja, jetzt scheint es
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