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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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bewegt hat, hattest du kein offenes Ohr.«
    Dirk wollte widersprechen, musste sich jedoch eingestehen, dass es stimmte, was der Alte gesagt hatte.
    Wieder und wieder hatte er versucht, sich auf das einzulassen, was ihm Kinah von alten Riten und Gebräuchen erzählt hatte, und den Zusammenhang zu begreifen, den sie in allem gesehen hatte. Und viel zu oft war ihm das nicht einmal ansatzweise gelungen. Etwas in ihm hatte sich gegen den Hokuspokus gesträubt, wie er ihn insgeheim nannte, eine Art von Sperre hatte es ihm unmöglich gemacht, Kinah zu folgen. Stattdessen hatte er diesen Teil von ihr einfach für einen Spleen gehalten, für eine mehr oder minder liebenswerte Marotte, die man nicht ernst nehmen musste.
    »Hat nicht schon euer weiser Theatermann Shakespeare gesagt: Es gibt viel mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich eure Schulweisheit erträumen lässt?«, setzte der Alte nach.
    »Ja, das hat er«, gab Dirk zu. »Und das mag ja auch stimmen, aber trotzdem … Wie soll man Scharlatanerie von etwas unterscheiden, das … das …«
    »Das echt ist?«, half ihm der Schamane aus. »Das ist im Grunde ganz einfach. Scharlatane umgarnen uns mit Worten und gaukeln uns etwas vor, das uns fasziniert. Wir wollen ihnen glauben. Das, was echt ist, kommt hingegen aus der Tiefe der Seele. Aus unser aller Seelen.«
    »Quatsch!«, begehrte Dirk auf. »Wenn ich herausfinden will, ob etwas esoterischer Humbug ist oder nicht, genügt es doch wohl kaum, dass ich in mich hineinhorche – ganz abgesehen davon, dass das meiste sowieso Humbug ist.«
    Der Alte schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Warum wehrst du dich so dagegen? Selbst in eurer Kultur hat sich inzwischen herumgesprochen, dass es allgemeingültige Bilder gibt, die jeder Mensch in sich trägt. Und dass diese Bilder, die ihr so umständlich Archetypen nennt, von unseren Ahnen stammen. Das zu spüren – dazu ist jeder fähig.« Der Alte lächelte versonnen. »Zumal, wenn es um den geliebten Menschen geht.«
    Der Hieb traf. Dirk zuckte zusammen. Ja, er hätte sich intensiver damit befassen sollen, was Kinah umtrieb.
    »Aber ich dachte, ich lasse Kinah …«
    »… besser alleine damit?«
    »Nein.« Dirk wurde langsam wütend. »Ich wollte Kinah nur nicht …«
    »Zu nahe kommen?«, unterbrach ihn der Alte erneut.
    »Nein!«, polterte Dirk. »Aber Kinah wollte doch auch ihre Ruhe! Und zwar oft. Ich musste ihr doch ihre Freiheit lassen!«
    »Da hast du recht«, bestätigte der Weißhaarige. »Frauen sind wie Feuer: Man braucht sie, aber wenn man ihnen zu nahe kommt, kann man sich verbrennen. Und wenn man ihnen nicht nahe genug kommt – dann wärmt ihr Feuer jemand anderen.«
    »Ich habe mir gleich gedacht, dass sie was mit diesem Olowski hat«, stellte Dirk finster fest. »Das meinst du doch damit, oder?«
    »Nein, das ist nicht das, was ich meine.« Der Schamane stieß den Stock in das Feuer. Funken stoben auf und gingen wie ein feiner goldener Regen auf ihn und Dirk nieder. »Ich meine dich und Kinah. Und das Leben, das sie euch und der Welt geschenkt hat.«
    Dirk starrte den Alten sprachlos an.
    »Es gibt einen Grund dafür, warum du zu mir gefunden hast«, sagte der Alte. »Es war das Entsetzen, das du empfunden hast, als du erfuhrst, weshalb Kinah euch seinerzeit verlassen hat.«
    »Oh mein Gott.« Dirk schlug sich die Hände vors Gesicht.
    »Akuyis abgetrennter Kopf. Verstehst du jetzt, was ich meine?«
    Und ob er es verstand. Kinahs Schilderung war plastisch genug gewesen. Sie hatte in der Garage gestanden, verheddert in den Skulpturen, die sie selbst erschaffen hatte. Und sie hatte jemanden angestarrt, den sie für ihren Mann hielt. Jemanden, der bestialisch aussah, ein sabberndes Monster, das nicht davor zurückgeschreckt war, seiner eigenen Tochter auf eine Weise Gewalt anzutun, für die es keine Worte gab. Er hatte keine Ahnung, was Kinah in jenem Moment gedacht hatte, ob sie das Grauen von Anfang an für eine Vision oder tatsächlich für die Wirklichkeit gehalten hatte.
    Wäre er damals an ihrer Stelle gewesen, hätte er wahrscheinlich den Verstand verloren. Wenn Kinah vor ihm gestanden hätte, mit verzerrtem Gesicht und blutunterlaufenen Augen, in der einen Hand ein Messer und in der anderen den abgeschnittenen Kopf ihrer Tochter … Wenn er Akuyis Augen gesehen hätte, die ihn fixierten, obwohl kein Leben mehr in ihnen sein konnte, sein durfte …
    Die Vorstellung war derart grauenhaft, dass sein Verstand blockierte und das Bild verdrängte.
    »Und da

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