Sturm: Roman (German Edition)
beschränkte sich mein Mitspracherecht darauf, die Kreditfrage zu klären.«
»Falsch«, berichtigte ihn Kinah. »Du hattest den Großraum München vorgegeben. Wegen deiner Computergeschäfte …«
»Ja«, unterbrach sie Dirk, »weil ich damit unser Haus finanziert habe.«
»Und ich habe den Standort sehr sorgfältig ausgesucht.« Kinahs Stimme wurde eindringlicher. »Aber vielleicht nicht sorgfältig genug.«
Dirk hörte ihr kaum zu. Er dachte an den alten Mann, an dessen Ankündigung, Kinah und Akuyi könnte etwas geschehen, wenn er, Dirk, nicht gegen das kämpfte, was die Zivilisation bedrohte.
»Als ich in der Nacht in der Garage war und der Sturm am Tor polterte und die Ziegel vom Dach flogen – da war mir, als erwachten die Samuhi, die ich geschaffen hatte, zum Leben.«
»Samuhi … du meinst deine … Skulpturen.«
»Sie schienen näher zu kommen.« Kinah begann wieder zu zittern, ganz leicht nur, aber in einer Art, die zeigte, wie sehr sie die Erinnerung mitnahm. »Sie schienen mich einzukreisen. Ich verstand nicht, was sie von mir wollten. Sie wirkten bedrohlich und gleichzeitig wie … wie alte Freunde, die mir beistehen wollten.« Dirk vergaß, wo er war und dass Lubaya neben ihm hockte und irgendetwas vor sich hin brummelte. Kinahs Schilderung berührte ihn tief in seinem Inneren. »Und plötzlich war da … dieses Licht. Dann sprang die Tür auf, die du angeblich so gut verrammelt hattest.« Kinah räusperte sich. »Sie flog einfach gegen die Wand. Eine Bö traf mich, und wenn die Samuhi mich nicht aufgefangen hätten, wäre ich an der Rückwand der Garage zerschmettert worden.«
Dirk verkrampfte sich. Er ahnte, dass nun nichts Gutes kommen würde.
»Ich hatte mich in den Armen der Samuhi verfangen. Sie stützten mich, aber sie ließen mich auch nicht los. Es war beinahe, als wollten sie mich festhalten, damit ich dem Folgenden nicht entgehen konnte.« Kinahs Stimme war kaum noch zu hören. »Und die ganze Zeit über beutelte mich der Wind. Er schlug auf mich ein wie ein Schlägertrupp. Und dann …«
»Und dann?«
»Dann … es war unvorstellbar.« Kinah klang gehetzt. »Die Tür war halb aus den Angeln gerissen. Plötzlich, von einem Moment auf den anderen, erstarb der Sturm. Er ließ nicht bloß nach, er hörte abrupt auf. Das Licht wurde immer heller. Es schwebte auf mich zu. Und hinter dem Licht war etwas.«
In Dirk stieg eine üble Ahnung hoch. »Was war da?«
»Die Samuhi ließen mich los. Ich taumelte vorwärts. Und dann sah ich diesen Mann auf mich zukommen. Sein Gesicht war blutüberströmt. In seinen Augen flackerte der Wahnsinn. Und in seiner Hand hielt er etwas, das er mir entgegenstreckte …« Ihrer Kehle entrang sich ein Laut, der nichts Menschliches mehr an sich hatte.
Dirk musste sich zusammenreißen, um Kinah nicht an den Schultern zu packen und durchzuschütteln. »Was hielt der Mann in der Hand?«, zischte er. »Und wer war er? Olowski?«
Kinah rückte ein Stück von ihm ab. »Jan? Spinnst du? Nein, der Mann warst du.«
»Ich?« Dirk schüttelte fassungslos den Kopf. »Was soll der Blödsinn? Ich habe im Bett gelegen und darauf gewartet, dass du zurückkommst. Ich war unruhig und wollte dir eigentlich nachgehen, aber dann ließ ich es, weil ich wusste, wie sehr es dich stört, wenn …«
»Wenn du so tust, als würde ich dir gehören …« Kinah seufzte leise. »Aber darum geht es doch gar nicht. Ich weiß, dass du oben im Bett warst. Trotzdem: Der Mann warst du!«
»Und wie soll das möglich sein?«
»Du stellst die falschen Fragen. Wie immer.« Es war keine Bitterkeit in Kinahs Stimme, aber ein derart tief empfundenes Entsetzen, dass es Dirk die Sprache verschlug. »Dein Blick war so … fürchterlich. Deine Augen waren blutunterlaufen und Speichelfäden liefen dir aus den Mundwinkeln. Aber das Schlimmste war, was du in den Händen hieltst.«
Dirk wartete atemlos darauf, dass Kinah weitersprach. Aber den Gefallen tat sie ihm nicht.
»Und was hielt ich in der Hand?«, fragte er schließlich.
»Einen blutüberströmten, vom Körper abgetrennten … Kopf.« Kinah wand sich.
»Wessen Kopf, verdammt noch mal?«
»Akuyis Kopf.«
Kapitel 19
Durst. Trinken. Sofort. Das war das Einzige, was Dirk denken konnten. Seine Beine schmerzten von dem Gewaltmarsch durch die sengende Sonne, den er sich erbarmungslos abverlangte, und seine Lungen fühlten sich an, als atmete er flüssiges Feuer. Er merkte es kaum. Viel schlimmer waren seine ausgetrocknete Kehle, das Gefühl,
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