Sturm: Roman (German Edition)
den Saft abgedreht und mich hinauskomplimentiert.« Sein Gesicht bekam einen bitteren Ausdruck. »Und danach hat man mich fertiggemacht. Ich habe meinen Job verloren und wurde als Scharlatan beschimpft, als Wichtigtuer, der unhaltbare Thesen vertritt, nur um auf sich aufmerksam zu machen.«
Seine Stimme war während der letzten Worte immer lauter geworden, und nun drehte er sich abrupt um, ging zum Schreibtisch und traktierte die Tastatur seines Notebooks.
»War das, nachdem ich Kontakt zu dir aufgenommen hatte und du plötzlich wie vom Erdboden verschluckt warst?«, erkundigte sich Kinah.
»Ja. Damals musste ich für eine Weile aus dem Schussfeld verschwinden«, sagte Jan. »Und das meine ich wortwörtlich.«
»Was soll das denn heißen?«
»Lass mich dir die zweite Folge meines Lieblingsvideos zeigen …« Während Jan die letzten Einstellungen vornahm, presste er die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.
Wieder erwachte eine holografische Darstellung flackernd zum Leben. »Da ist er«, stieß Jan hervor.
Es war der Mann, der eben noch in eine Schießerei verwickelt gewesen war. Der Mann, der den Attentäter mit einem Schuss in die Stirn getötet hatte. Er blickte Jan entgegen – zumindest wirkte es so, denn durch die dunkle Sonnenbrille waren seine Augen nicht zu erkennen.
Kinah verspürte eine wachsende Unruhe und war kaum in der Lage, den Mann anzusehen, der scheinbar direkt vor ihnen stand.
»Ich bin dem Kerl während des Kongresses zum ersten Mal begegnet.« Jans Stimme war hasserfüllt. »Und danach immer wieder. Er hat dafür gesorgt, dass ich nicht an das Institut zurückkehren konnte. Ich musste alle Papiere und Aufzeichnungen dort zurücklassen, und wenn ich nicht einen loyalen Mitarbeiter gehabt hätte, wäre ich noch nicht einmal mehr an meine persönlichen Sachen gekommen.«
Die Holografie veränderte sich. Hatte der Mann, den Jan den Araber nannte, eben noch in voller Größe vor ihnen gestanden, wechselten jetzt Zoomeinstellung und Blickrichtung der unsichtbaren Kamera, sodass zu sehen war, wo er sich befand und in welche Richtung er blickte.
Es war kurz nach der Schießerei. Der Araber stand am Heck der Limousine und richtete seine Pistole auf den Mann im Innenraum. Dieser wagte sich offenbar keinen Millimeter zu rühren. Sein Gesicht war deutlich angespannt, auf seiner Stirn perlte Schweiß. Er hatte Angst, nackte Todesangst.
»Dieser Mann geht über Leichen«, sagte Jan scharf. »Und er schüchtert selbst diejenigen ein, die für gewöhnlich Jäger und nicht Opfer sind.«
»Wer zum Teufel ist er?«
»Er heißt Ventura«, antwortete Jan. »Zumindest nennt er sich so.«
»Und für wen arbeitet er?«
»Das wüsste ich auch gern«, sagte Jan düster. »Ich habe eine Menge Nachforschungen angestellt, was nicht ganz ungefährlich war und mich das ein oder andere Mal in brenzlige Situationen gebracht hat. Aber dabei wurde mir diese Aufnahme zugespielt …«
»Also ist das kein Fake?«, fragte Kinah aufgeregt. »Du hast diese Szene nicht animiert?«
»Was denkst du von mir?« Jan wirkte schockiert. »Natürlich nicht! Wozu auch? Warum sollte ich dir etwas vormachen?«
Kinah zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Allerdings frage ich mich langsam, worauf du hinauswillst.«
»Du weißt doch ganz genau, warum ich dir das zeige, oder?«, rief Jan ungehalten. »Schließlich warst du es, die Kontakt zu mir gesucht hat, nicht umgekehrt.«
»Stimmt.« Kinah dachte erneut an das Vermächtnis ihres Vaters, das sie in ihrer Jackentasche verstaut hatte. »Weil ich meine Sicht der Dinge habe«, fuhr sie fort. »Ich weiß, was die Wissenschaft leisten kann und was nicht. Ich weiß aber auch, was sich die Alten am Feuer erzählen, auf welch lange Ahnenkette sie voller Stolz zurückblicken und wie viel Kraft und Wissen sie daraus schöpfen.«
»Ja«, sagte Jan. »Das hast du mir erzählt, als du mich im Institut aufgesucht hast. Ich gebe zu, dass ich damals nicht viel damit anfangen konnte.«
»Das habe ich gemerkt«, bestätigte Kinah. »Du hast nichts von den teilweise dramatischen Klimawechseln wissen wollen, die die Menschheit seit ihrer Entstehung auf meinem Heimatkontinent miterleben musste. Für sie war es immer eine Frage des Überlebens, sich einerseits dem Klima anzupassen und andererseits alles zu vermeiden, was die Götter herausfordern könnte, da diese den Hochmut und die Gedankenlosigkeit der Menschen mit einem großen Sturm bestraft hätten.«
»Ich fürchte, diese Sichtweise
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