Sturm: Roman (German Edition)
das von einer Müllhalde stammte, sondern ganz im Gegenteil so sorgfältig ausgestattet, dass es schon fast grotesk wirkte. Dicke Teppiche lagen auf dem Boden, an den Wänden hingen Gemälde, mit deren Motiven Dirk wenig anfangen konnte, deren Farbgebung aber erstaunlich gut zum Rest des Raumes passte, auf dem überdimensionalen Flachbildschirm zu seiner Linken lief eine Nachrichtensendung, und der ungefähr zweihundert Jahre alte Schreibtisch, hinter dem Biermann saß, hätte jedem Manager mit einem Faible für antikes Mobiliar Ehre gemacht, so prachtvoll gearbeitet und gut erhalten war er.
»Leider sind wir etwas in Zeitdruck«, sagte Biermann. »Die Spur ist zwar superheiß, kann aber genauso schnell auch wieder kalt werden. Deswegen mein vielleicht etwas überstürzter Anruf vorhin.«
»Kein Problem«, wehrte Dirk ab. Er riss seinen Blick von dem Bildschirm los, auf dem gerade zu sehen war, wie Feuerwehrleute einen Baum zersägten, der auf ein Auto gefallen war und den Fahrgastraum auf bizarre Weise zusammengedrückt hatte. »Aber jetzt raus mit der Sprache: Was wissen Sie über meine Frau?«
Biermann beugte sich vor. Der kräftig gebaute Mann hatte eine Narbe an der rechten Wange, die vor drei Jahren noch nicht da gewesen war – genauso wenig wie die goldene Uhr und das amüsierte Funkeln in seinen Augen. Seinen Hals zierte jedoch kein 18-Karat-Goldkettchen, und er trug weder eine getönte Brille noch einen viel zu auffälligen Anzug wie ein Zuhälter, sondern etwas, das man dezente Businesskleidung hätte nennen können: eine dunkle Stoffhose, ein helles Hemd und ein schwarzes Sakko, alles in tadellosem Zustand und perfekt sitzend. Das Einzige, was den Eindruck störte, dass sich da jemand mit Geschmack zu kleiden verstand, war eine schreckliche Krawatte mit roten Tupfen.
»In mancher Beziehung weiß ich sogar mehr über Ihre Frau als Sie selbst«, sagte er mit einer Stimme, die durch langjährigen Zigaretten- und Alkoholkonsum rau und kratzig geworden war.
»Das kann ich mir nun beim besten Willen nicht vorstellen«, sagte Dirk gedehnt, ohne aber verhindern zu können, dass sein Blick dabei flackerte.
»Ich werde es Ihnen beweisen.« Biermann betätigte eine Taste an seinem Telefon und sagte: »John.«
Kurz darauf ging eine Tür auf, die so geschickt in die Wand eingelassen war, dass Dirk sie bislang noch gar nicht bemerkt hatte, und Rastalocke trat ein. Die obligatorische Zigarette klebte in seinem Mundwinkel, und in seiner Hand hielt er einige CDs, die er wie eine Trophäe hin und her schwenkte.
»Es hat schon Vorteile, wenn man Kontakte in der Musikbranche hat«, sagte er, steuerte auf den Schreibtisch zu und ließ sich im zweiten Besuchersessel nieder. Er schlug die Beine übereinander und legte die CDs auf dem Schreibtisch ab. »Vor allem, wenn man selbst ein paar heiße Scheiben produziert hat. Ich hab mal eine der führenden deutschen Reggae-Bands gefeatured.«
»Was soll das?«, fragte Dirk. »Wollen Sie mich als Co-Produzenten gewinnen?«
John grinste breit, nahm die Zigarette aus dem Mundwinkel und betrachtete sie, als sähe er sie zum ersten Mal. Das ist inszeniert, dachte Dirk, genauso wie alles andere auch.
Aber der Gedanke nutzte ihm nichts. Er konnte die Puzzlesteine einfach nicht zusammenfügen. Das versiffte Taxi, der schmuddelige Hintereingang und dieses Büro, in dem ein kleiner Privatermittler wie der Chef eines großen Sicherheitsunternehmens residierte – all das passte nicht zusammen.
»Die Idee ist nicht schlecht«, sagte John. »Denn damit kämen Sie Kinah sehr nahe …«
»Nennen Sie sie nicht Kinah!«, schnappte Dirk.
»Sorry.« Rastalocke grinste unerschütterlich weiter, aber in seine Augen trat plötzlich ein gefährlicher Glanz. Der Mann war Demütigungen gewöhnt, das begriff Dirk bei diesem Anblick, aber er war niemand, der sich einfach wegduckte und geduldig alles ertrug. Dirk hätte sich nicht gewundert, wenn John wegen Körperverletzung vorbestraft gewesen wäre.
»Also, was ist jetzt mit meiner Frau?«, fuhr Dirk in bewusst ruhigem Tonfall fort.
»Sie ist tief in der Kultur ihrer Heimat verwurzelt, wussten Sie das?«, fragte John. Dirk tat die Bemerkung mit einer ungeduldigen Kopfbewegung ab. »Auch wenn sich das nicht unbedingt nur auf einen Teil Afrikas beschränkt oder auf ihr Heimatland.«
»Sie hat keine Heimat«, sagte Dirk. »Ihr Dorf wurde zerstört, als sie noch ein Kind war. Entfernte Verwandte flohen mit ihr quer durch den Kontinent nach
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