Sturm: Roman (German Edition)
hier.«
Damit hatte er recht. Dirk hatte ihm zwar eine dicke (sowie übel nach Schweiß und Schlimmerem riechende) Wolldecke umgelegt, die Lubaya bei einer zweiten Stippvisite im Cockpit angeschleppt hatte, doch er bezweifelte, dass sie viel nutzte. Die Temperaturen waren merklich gefallen, und der scharfe Wind, der durch das zerstörte Cockpitfenster hereinfegte, ließ sie allesamt um die Wette schnattern.
Als Dirk die Flasche aus dem Versteck holte, das Jurij ihm zuvor verraten hatte, rief Kinah: »Ich halte es für keine gute Idee, jetzt Wodka zu trinken. Du brauchst einen klaren Kopf für die Landung.«
»Falsch«, antwortete Jurij gepresst. »Ich brauche die Hilfe deiner Götter. Sonst schaffe ich es nie, mein Mädchen im Blindflug durch die Schlucht zu steuern.«
»Im Blindflug durch die Schlucht?« Kinahs Haare flatterten wild im Wind, dem sie viel ungeschützter ausgesetzt war als Dirk. »Wovon redest du, alter Mann?«
»Davon, dass ich den Hubschrauber wohl kaum abhängen kann, wenn ich mit Weihnachtsbaumbeleuchtung und schön artig durch die Gegend fliege.« Jurij hustete kurz und trocken. »Es muss alles ganz schnell gehen. Ich tue so, als würden wir abstürzen. Schalte die Beleuchtung aus. Dann drehe ich bei – und ab durch die Mitte. Aber jetzt«, sagte er und beugte sich ein Stück zu Dirk hinüber, »bitte ich dich um einen Schluck, Brüderchen.«
Kinah hatte die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, um sich bestmöglich gegen den beißenden Wind zu schützen. Sie starrte Dirk an und schüttelte den Kopf. »Es ist auch keine gute Idee, einen Absturz vorzutäuschen«, sagte sie laut. »Daraus kann schnell eine echte Katastrophe werden.«
Jurij ignorierte sie und streckte Dirk auffordernd die Hand entgegen. »Wodka!«
»Ich weiß nicht …«, begann Dirk unsicher.
»Einen Schluck Wodka, Brüderchen«, beharrte Jurij. »Oder ich streike. Dann kannst du weiterfliegen, wenn du dir das zutraust.«
Kinah zuckte resigniert mit den Schultern. Dirk richtete sich auf und reichte Jurij mit vor Kälte klammen Fingern die Flasche. Instinktiv drehte er den Kopf aus dem heranfauchenden Wind, der ihn hier viel härter traf als in der kauernden Position zwischen Sitz und Außenwand.
Es war nicht bloß ein Schluck, sondern eher ein Wasserglas voll, das sich Jurij in die Kehle schüttete, bevor es Dirk gelang, ihm die Flasche wegzunehmen und aus dem scharfen Luftzug abzutauchen. Jurij verdrehte die Augen, sodass für einen Moment nur das Weiße zu sehen war, schüttelte dann den Kopf und grinste breit. Wahrscheinlich wollte er damit Zuversicht und Kraft demonstrieren, aber dies gelang ihm nicht im Entferntesten. Mit seiner lächerlichen Lederhaube, der klobigen Brille und all seinen Runzeln und Fältchen sah er aus wie ein grotesker, uralter Clown, der nicht begriffen hatte, das seine Zeit längst vorbei war.
»Vielleicht können wir mit den Typen im Hubschrauber Kontakt aufnehmen«, sagte Dirk mit der Flasche in der Hand. Plötzlich wehte ihm der verführerische Geruch nach Wodka um die Nase. Hastig klemmte er die Flasche in die unauffällige Halterung, in der Jurij auch ein gewaltiges Jagdmesser mit Horngriff verwahrte, das aussah, als könnte man damit einen Elefanten aufschlitzen. »Vielleicht können wir ja eine Art Waffenstillstand mit den Arabern aushandeln.«
»Ja, tolle Idee«, brummte Jurij. Er beugte sich vor und starrte hinaus auf die vom Bugscheinwerfer beleuchtete, hügelige Landschaft unter ihnen. »Wir sagen ihnen einfach, dass uns die Munition ausgegangen ist, der Pilot gleich ins Koma fällt und wir uns verirrt haben. Und dann fragen wir sie, ob sie so freundlich wären, uns zum nächsten Flugplatz zu geleiten.«
»Moment mal!«, rief Dirk. »Das sind ja drei Hiobsbotschaften auf einmal. Was ist mit dem Maschinengewehr?«
»Ich weiß nicht, wo du gewesen bist«, brummte Jurij. »Aber vorhin hat jemand, der am liebsten mit schweren Waffen spielt, seine verfilzte Rastamatte zur Tür hereingesteckt …«
»Um nachzusehen, was mit Janette passiert ist.«
»Und nachdem er kapiert hatte, dass sie tatsächlich tot ist und ihre Leiche nicht mehr an Bord, hat der Idiot ganz nebenbei erwähnt, dass er die komplette Munition verballert hat.« Jurij gab einen keuchenden Laut von sich. »Gerade auf diesem Kontinent mit all seinen Partisanenkriegen und Aufständen weiß jeder, dass am Ende nur der überlebt, der seine Waffe noch nicht leergeschossen hat. Da muss man schon ganz besonders
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