Sturm: Roman (German Edition)
blöd sein, wenn man vollkommen sinnlos Dauerfeuer gibt.«
»Das Maschinengewehr können wir also vergessen«, sagte Dirk und empfand nicht Bestürzung, sondern Erleichterung Immerhin lief Akuyi dann nicht Gefahr, in friendly fire zu geraten. »Solange unsere Verfolger das nicht wissen, ist doch alles in bester Ordnung.«
»Ja, bis sie den ersten Schuss auf uns abgeben«, knurrte Jurij.
»Und was ist an der Sache dran, dass wir uns verirrt haben?«
»Nichts.« Jurij keuchte erneut und schob mit sichtbarer Anstrengung den linken Arm ein Stück nach vorne, um das Steuerhorn besser umfassen zu können. »Ich habe mich mein Lebtag noch nicht verflogen. Und schon gar nicht hier in dieser Gegend, wo man wunderbar durch jede Radarüberwachung schlüpfen kann. Dieser Teil des Atlasgebirges ist meine Spielwiese, das werden die Schwachköpfe hinter uns schon noch merken.«
»Bliebe also nur noch die unerhebliche Kleinigkeit, dass du gleich ins Koma fällst«, bemerkte Dirk. »Und das kannst du wohl kaum abstreiten.«
Jurij stieß einen gackernden Laut aus, der nur mit viel Fantasie und gutem Willen als Lachen zu erkennen war. »Russische Piloten fallen erst ins Koma, wenn sie ihren Job erledigt haben. Zumindest war das zu meiner Zeit so. Und irgendwie ist es ja immer noch meine Zeit, schließlich bin ich gesund und munter und habe im Laufe der Jahre sieben Abstürze überlebt …«
»Konzentrier dich lieber aufs Fliegen, statt uns von alten Zeiten zu erzählen.« Kinah strich sich ein paar wirr flatternde Haarsträhnen aus der Stirn. »Und bring uns runter, bevor ich endgültig zum Eisklotz mutiere.«
»Ja, die Kälte, die war damals auch bei offenen Doppeldeckern ein Problem«, plapperte Jurij ungerührt weiter. »Trotzdem sind wir bis über fünftausend Meter hoch geflogen! Da ist mir der Rotz in der Nase eingefroren, so kalt war das!«
»Wie appetitlich.« Als Jurij die Lisunov in eine scharfe Rechtskurve lenkte, krampften sich Kinahs Hände um die Armlehnen ihres Sitzes. »Wie weit ist es denn noch?«
»Falls ich nicht vorher das Bewusstsein verliere … vielleicht noch zehn, fünfzehn Minuten Flugzeit. Ich kann es nicht genau sagen, weil ich nicht den direkten Weg fliege, sondern versuche, unseren hartnäckigen Flügelmann zu verwirren.« Dirk vermutete, dass Jurij mit seinem Redefluss nur davon ablenken wollte, dass er am Ende seiner Kräfte war. Und wenn der alte Mann zusammenbrach, sollte er das Steuer ergreifen und die Maschine fliegen? Das war doch verrückt!
Jurij brachte die Maschine wieder in die Waagerechte. »Ach übrigens«, fuhr er leiser fort. »Macht auf dem Schuldschein aus der Zwei vor den ganzen Nullen bitte eine Fünf. Und schreibt noch dazu, dass ihr auch für alle Schäden an meinem Mädchen aufkommt.«
Der Rest seiner Worte ging in einem unverständlichen, von russischen Ausdrücken durchzogenen Gemurmel unter. Dirk löste die Wodkaflasche aus der Halterung und schob sie ein Stück nach oben. Sie war halb voll, und in der klaren Flüssigkeit spiegelte sich das Kabinenlicht, das den Verwüstungen im Cockpit zum Trotz störungsfrei brannte.
Vielleicht sollte er Jurij noch einen Schluck einflößen. Und sich selbst auch einen gönnen, um seine Nervosität zu bekämpfen, die Panik, die bei dem Gedanken am Rande seines Bewusstseins lauerte, Jurij könnte plötzlich in sich zusammensacken.
»Wenn wir herausfänden, was die Kerle von uns wollen«, sagte er, ohne den Wodka aus den Augen zu lassen, »könnten wir uns womöglich irgendwie mit ihnen einigen.«
Kinah warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Sie konnte die Wodkaflasche nicht sehen und somit auch nicht ahnen, welches Verlangen ihn beim Anblick des hochprozentigen Alkohols überkam. Aber sie wirkte trotzdem alles andere als auf seiner Seite.
»Hast du schon vergessen, was diese Kerle Achmed angetan haben?« Sie straffte sich. »Oder was der Typ mit dir gemacht hat, den dein Freund John ausgeschaltet hat?«
»John ist nicht mein Freund.«
»Mag sein. Aber das ändert nichts daran, dass wir es hier nicht mit harmlosen Taschendieben zu tun haben.« Kinah zerrte wütend – und vergeblich – am Verschluss des Sicherheitsgurtes. »Das sind Killer, verstehst du? Die wollen uns abknallen!«
»Und warum tun sie es dann nicht?« Dirk ließ die Wodkaflasche wieder verschwinden und deutete nach hinten. »Unser Maschinengewehr ist leergeschossen. Wir haben keine Möglichkeit, uns zu wehren. Die können uns jederzeit vom Himmel
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