Sturm: Roman (German Edition)
hatte auch Jurij erwischt. Der Alte hing in seltsam verkrümmter Haltung in seinem abgewetzten Ledersitz, die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst.
Dass er überhaupt noch fliegen konnte, verdankte er wohl zu gleichen Teilen seinem eisernen Willen und dem Heilwissen von Lubaya und Kinah. Dirk hatte den alten Mann versorgt, so gut es ging, und zwar auf die merkwürdigste Art, die er sich vorstellen konnte.
Zuvor jedoch hatte er Biermann mitteilen müssen, was mit Janette geschehen war, und dessen Reaktion hatte ihn zutiefst erschüttert. Biermann war nach vorne gestürmt, hatte vom Flugwind gebeutelt an dem geborstenen Bugfenster gestanden, sich vorgebeugt und in die Tiefe gestarrt, als wollte er sich hinausstürzen. Als er sich wieder umdrehte, war sein Blick erloschen, und von seinen Händen, die sich inmitten der scharfkantigen Glassplitter festgehalten hatten, tropfte Blut. Er schien es noch nicht einmal zu bemerken.
Schließlich packte er mit einer wütenden Bewegung seine Krawatte, zerrte sie sich vom Hals und stopfte sie achtlos in seine Jackentasche – und verschmierte dabei alles mit Blut, was er anfasste. Es war, als wollte er mit dieser Geste die Brücke zur Vergangenheit abbrechen, zu allem, was ihm einmal wichtig gewesen war, was aber nach Janettes Tod keinerlei Bedeutung mehr für ihn hatte. Als er sich dann an Dirk gewandt hatte, war in seinem Blick plötzlich etwas ganz anderes als Trauer aufgeflackert, eine wahnsinnige Wut, und in jenem Moment hatte er das gesagt, was Dirk wie einen Schlag in die Magengrube empfunden hatte.
»Du hättest es verhindern müssen.«
Nur diesen einen Satz, nicht mehr und nicht weniger. Dirk war auf ein Bombardement von Vorwürfen gefasst gewesen, darauf, dass Biermann ihn packte und verprügelte, auf irgendetwas, das dem grenzenlosen Zorn Ausdruck verlieh, der in Biermanns bebender Stimme mitschwang. Aber nichts dergleichen war geschehen. Biermann hatte ihn für eine Weile wortlos angestarrt, war dann aus dem Cockpit gestürmt und mit donnernden Schritten in der Kabine verschwunden.
Dirk war keine Verschnaufpause vergönnt gewesen. Lubaya hatte es irgendwie geschafft, trotz des unruhigen Flugs nach vorne zu kommen und ihm in aller Eile Salbe und Verbandszeug zu reichen, die sie aus den unergründlichen Tiefen ihrer Ledertasche hervorgezaubert hatte. Alles Weitere hatte sie Dirk und Kinah überlassen, die zunehmend nervös wurde, weil der Sicherheitsgurt des Kopilotensitzes sie immer noch gefangen hielt und sich auch mit Dirks Hilfe nicht öffnen ließ. Da nutzte kein Fluchen und keine Ungeduld: Kinah blieb an ihren Sitz gefesselt, sodass sie Dirk lediglich Anweisungen erteilen konnte und er sich alleine um Jurij kümmern musste. Allerdings war seine anfängliche Hektik schnell verflogen, und er hatte sich beim Anlegen des Verbands erstaunlich geschickt angestellt.
Jurijs linker Oberarm war getroffen. Ein MP-Geschoss hatte einen Teil seines Muskels zerfetzt, aber zumindest den Knochen unberührt gelassen und keine wichtige Ader erwischt. Doch die Wunde, die durch die hastig an dieser Stelle aufgeschnittene Lederjacke hindurchschimmerte, war auch so schon schlimm genug. Nachdem Dirk ihm eine dick mit Heilkräutern eingeschmierte Druckkompresse angelegt hatte, konnte Jurij den Arm nur noch sehr eingeschränkt bewegen, was ihn angesichts der wilden Manöver, die er fliegen musste, an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit brachte. Dirk hatte sich links neben ihm in den Spalt zwischen Sitz und Bordwand gequetscht, um jederzeit eingreifen zu können.
Zum Beispiel dann, wenn Jurij das Bewusstsein verlor. Und er konnte nicht mehr weit davon entfernt sein. Seine fahle Gesichtsfarbe und das nervöse Zucken seiner Augenlider unter der klobigen Fliegerbrille sprachen Bände. Trotzdem hatte sich Jurij bislang geweigert, eine Notlandung durchzuführen.
Und das aus gutem Grund. Einen Hubschrauber hatte Rastalocke erledigen können – aber nur, weil Jurij durch ein gewagtes Flugmanöver seine zweifelhaften Schießkünste unterstützt hatte. Der zweite Hubschrauber hingegen klebte immer noch wie ein Schatten an ihnen. Er blieb zwar auf Distanz, aber das Licht seines Scheinwerfers verschwand nie für lange Zeit und mischte sich manchmal sogar beinahe mit dem der Lisunov, bevor es für eine Weile wieder deutlich zurückblieb.
»Es ist nicht mehr weit«, murmelte Jurij. »Aber vorher brauche ich einen kleinen Schluck, um mich aufzuwärmen. Es ist so verdammt kalt
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