Sturm: Roman (German Edition)
befehlsgewohnten Stimme. »Wir müssen weg hier!«
Dirk drehte sich zu ihm um, was sein von Biermanns Tritt malträtierter Rücken mit einem stechenden Schmerz quittierte. Er war nicht überrascht, einen Araber im Maßanzug zu sehen, eine gepflegte Erscheinung mit einem durchaus ansprechenden, wenn auch etwas hart wirkenden Gesicht. Ventura.
Natürlich war es Ventura. Im Grunde genommen hatte er das schon die ganze Zeit gewusst. Trotzdem versetzte ihm der Anblick einen Stich. Ventura, der Name stand für all das Leid, das über sie gekommen war. Dieser Mann erteilte mit einer Beiläufigkeit Mordbefehle, mit der andere einen Cappuccino bestellten.
Dirk spürte eine Woge brennenden Hasses in sich hochsteigen. Hätte er eine Waffe in den Händen gehalten, er hätte für nichts mehr garantieren können. Ja, er konnte Biermann verstehen. Hass und Rachedurst mochten Gefühle sein, die eines zivilisierten Menschen unwürdig waren. Doch das bedeutete nicht, dass man nicht von ihnen überwältigt werden konnte, wenn man einem Monster in Menschengestalt gegenüberstand.
Der Araber in der Grotte, der Dirk angefallen hatte wie ein tollwütiger Hund, die Männer, die sich an Achmeds Leiche zu schaffen gemacht hatten – sie alle hatten auf Venturas Lohnliste gestanden. Genauso wie die Besatzung des ersten Hubschraubers, die auf sie geschossen und dabei Jurij verletzt und Janette getötet hatte.
Was hatten Venturas Schergen wohl Akuyi und Noah angetan? Und wenn Kinah tot war, gestorben im Kugelhagel, den Ventura zu verantworten hatte …
Ventura musste das Funkeln in seinen Augen richtig gedeutet haben. Dirk bemerkte, dass er die Stirn runzelte und sich sein Gesichtsausdruck verhärtete. »Durchsucht ihn nach Waffen!«, befahl er.
Der Mann, der in angespannter Haltung neben ihm stand, nickte knapp und kam auf Dirk zu.
Die Signalpistole! Dirk hatte sie völlig vergessen. Er wusste nur noch, dass er sie in der Hand gehalten hatte, bevor er nach Kinah gegriffen hatte. Steckte sie nun vielleicht wieder in seinem Hosenbund?
»Bist du bewaffnet?«, fragte Olowski. »Dann wäre es besser, du würdest es gleich sagen und die Waffe rausrücken.«
Dirk starrte ihn an. Olowski stand bebend im warmen Wind, eine seltsam traurig und verloren wirkende Gestalt. Die Selbstsicherheit, die er in der unterirdischen Bibliothek ausgestrahlt hatte, war verschwunden, und auch von der Aggressivität, die er bei ihrer ersten Begegnung an den Tag gelegt hatte, war nichts übrig. Jan Olowski schien jedes Mal, wenn er ihn sah, ein komplett anderer Mensch zu sein.
»Ich bin kein Killer!«, fauchte Dirk. »Ich brauche keine Waffe.«
Olowski zuckte zusammen und blinzelte nervös. Er fuhr mit der rechten Hand in seine Hosentasche, als wollte er etwas herausholen. Dann zog er sie wie ertappt zurück.
»Diese Männer sind auch keine Killer«, sagte er.
Dirk beachtete ihn nicht. Er blickte hinab auf den Boden, wo Biermann lag. Er war über und über mit Blut besudelt. In seiner Brust klafften mindestens zwei, wenn nicht drei schreckliche Wunden. Aber er lebte noch. Auf einmal begannen seine Lider zu flattern, als spürte er, dass er beobachtet wurde. Und dann schlug er die Augen auf und starrte Dirk an.
»Ich …«, krächzte er. »Du …«
Ein Schwall von Blut ergoss sich über seine Lippen, und er verschluckte sich daran. Er hustete, riss den Mund auf und spuckte eine ganze Blutfontäne aus.
Dirk schwankte, und der nächste Windstoß riss ihn beinahe von den Beinen. Bittere Galle sammelte sich unter seiner Zunge. Biermann war vielleicht nicht der sympathischste Mensch, den er je kennengelernt hatte. Aber einen solchen Tod hatte er nicht verdient.
Er hätte sich niederbeugen können, um dem Sterbenden durch seine Nähe Trost zu spenden – das Einzige, was man einem Menschen geben konnte, der nur noch wenige Minuten zu leben hatte. Doch er vermochte es nicht. Er redete sich ein, dass er sich um Kinah kümmern musste, aber ein Teil von ihm wusste, dass das nur eine billige Ausrede war.
Ein anderer Teil von ihm wurde von Grauen erfasst – von einem weitaus größeren Grauen als dem, das Biermanns Anblick in ihm auslöste. Dirk wandte sich zu Lubaya und Kinah. Der warme Wind blies ihm mit voller Wucht ins Gesicht. Er merkte kaum, dass der Mann, dem Ventura befohlen hatte, ihn nach Waffen zu durchsuchen, vor ihn trat und ihn viel härter am Arm packte als nötig.
Kinah. Wenn sie ebenso von Kugeln zerfetzt war wie Biermann …
Er wollte zu ihr
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