Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein

Vom Netzwerk:

Zumindest wirkte er so, düster, gewaltig und bereit, mit mächtigen Armen nach ihm und Ventura zu greifen. Dirk schreckte zurück und erkannte erst dann, um was es sich wirklich handelte: um einen Felsen, in dem Naturgewalten oder Menschenhand zwei Öffnungen geschaffen hatten, durch die das rote Licht der aufgehenden Sonne schien. Das, was er für Arme gehalten hatte, waren nichts weiter als zwei an Krüppelkiefern erinnernde Bäumchen, die sich mit ihrem dürren Wurzelwerk an den Felsen klammerten.
    »Diese Waffe hat das Potenzial, das Klima endgültig aus dem Gleichgewicht zu bringen«, sagte Jan und gesellte sich zu ihnen. Dirk trat einen Schritt zur Seite, um nicht mit ihm zusammenzustoßen. Immerhin verbreiterte sich der Pfad an dieser Stelle zu einer Art Halde aus rutschigem Gestein, sodass es ihnen möglich war, nebeneinander zu gehen – vorausgesetzt, sie passten auf, dass das Geröll nicht unter ihnen wegglitt und sie mit sich ins Tal riss. »Das wäre für die Menschheit genauso verheerend wie der Klimawechsel vor fünfundsechzig Millionen Jahren für die Dinosaurier. Nur würde es der dominierenden Spezies diesmal viel schneller den Garaus machen.«
    »Das ist der Grund, warum ich Wissenschaftler liebe«, spottete Ventura. »Sie haben zu allem eine Meinung, Hauptsache, sie ist drastisch. Und dann schickt man Männer wie mich aus, um den Mist zu beseitigen, den Wissenschaftler erfunden haben.«
    »Von wem werden Männer wie Sie denn ausgeschickt?«, fragte Jan und passte seine Geschwindigkeit der ihren an.
    »Bestimmt nicht vom lieben Gott.« Unter Venturas Schuhen spritzten Steinchen beiseite, von denen eines Dirk direkt über dem Wadenverband traf. Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre ins Stolpern geraten. »Aber mehr werden Sie nicht erfahren.«
    »Und was ist mit Ihrer Konkurrenz?«, bohrte Jan nach.
    »Konkurrenz?« Ventura schüttelte den Kopf, eine schattengleiche Bewegung, die sich auf die Felsen zu übertragen schien, die den Wegesrand wie lauernde Ungeheuer säumten, jederzeit bereit, über leichtsinnige Wanderer herzufallen und sie mit scharfen Klauen und spitzen Zähnen zu zerreißen. Dirk blinzelte. Die Unruhe um ihn herum verschwand dadurch nicht, sondern steigerte sich eher noch. Es war, als würde die Umgebung in der Morgendämmerung zu gespenstischem Leben erwachen, als huschte etwas über den Boden vor ihm, als zöge sich der Kreis bedrohlicher Schatten um ihn herum immer enger, als scharrte dort etwas und kröche näher.
    Es war kein gutes Zeichen, dass ihm seine Wahrnehmung Streiche zu spielen begann. Wenn er so weitermachte, würde er bald kleine grüne Männchen sehen.
    »Es gibt keine Konkurrenz«, sagte Ventura. Dirk hatte Jans Frage schon längst vergessen. »Es geht um den alten Kampf von Gut gegen Böse. Von Licht gegen Schatten. Die Macht, die Leben schützt, gegen die, die Leben vernichtet.«
    »Und Sie gehören zu den Guten?« Jan hörte sich eher erschöpft als wütend an. »Das klingt mir etwas zu simpel.«
    »Ja, natürlich. Ich vergaß, dass Wissenschaftler immer alles verkomplizieren müssen.«
    »Alles hinterfragen müssen«, korrigierte ihn Jan. »Und wir betreiben keine Schwarz-Weiß-Malerei.« Als Ventura schwieg, fuhr er nach einer Weile fort: »Es gibt nicht nur Tag und Nacht, sondern auch einen Bereich dazwischen. Das sehen wir ja gerade: Im Westen herrscht noch Dunkelheit, im Osten graut bereits der Morgen. Und soll ich Ihnen mal was sagen? Die meisten Menschen sind weder Geschöpfe des Lichts noch des Schattens. Sie leben irgendwo dazwischen, in einer Grauzone, in der das Pendel jederzeit in die eine oder andere Richtung ausschlagen kann.«
    »Sie hätten Philosoph werden sollen«, knurrte Ventura. »Wissen Sie, was das Gefährliche an Leuten wie Ihnen ist?«
    »Na, da bin ich aber gespannt.«
    Ventura beschleunigte seine Schritte. »Sie reden und reden und reden, dabei geht es eigentlich ums Handeln.«
    »Das klingt so, als wollten Sie gleich wieder irgendwen erschießen.«
    »Wenn es sein muss …«, gab Ventura zurück. »Aber vor allem werde ich diese Sturmwaffe finden und vernichten, die Menschen wie Sie entwickelt haben.«
    »Und dabei soll ich Ihnen helfen?«
    »Das tun Sie doch schon«, antwortete Ventura gefährlich leise. »Ich musste Ihnen lediglich folgen. Sie und diese kleine Schwarze …«
    »Vorsicht!«
    »Sie und diese kleine Schwarze«, beharrte Ventura, »suchen diese Waffe schon viel länger als ich. Es gehört zu meiner Arbeit, mich an