Sturm: Roman (German Edition)
und sorgten dafür, dass sich niemand davonschlich.
»Könnten wir eine Pause machen?«, fragte Dirk.
Ventura starrte ihn misstrauisch an. Er hatte es bisher fast ausschließlich Karel überlassen, Anweisungen zu erteilen und ihnen in Abstimmung mit Lubaya den Weg zu weisen, und doch hatte es nie einen Zweifel daran gegeben, wer hier das Kommando hatte. Ventura brauchte gar nichts zu sagen, um ihnen allen Respekt einzuflößen. Seine Ausstrahlung genügte. Die geschmeidigen, an eine Raubkatze gemahnenden Bewegungen, die leicht schräge Kopfhaltung und das kaum sichtbare Zusammenziehen der Augenbrauen, wenn er auf die Reaktion seines Gegenübers wartete.
»Kinah ist am Ende ihrer Kräfte«, fuhr Dirk leise fort, in der Hoffnung, die Frau, die er einst seine Frau genannt hatte, würde es nicht hören und gleich darauf protestieren. »Und ich auch, um ehrlich zu sein. Vielleicht können wir uns einen Felsüberhang suchen und uns darunter …«
»Nein.«
Ein einziges Wort, das keinen Widerspruch duldete.
»Nach dem, was Karel gesagt hat, müssen wir uns doch sowieso verstecken, wenn die Sonne rauskommt«, begehrte Dirk auf. »Was spricht dagegen, schon jetzt nach einer geeigneten Stelle zu suchen?«
»Das sollten Sie lieber Ihre Frau fragen. Ich kann Ihnen nur eine Antwort geben, die mit Kampf und Tod zu tun hat.«
Dirk blickte nach vorn zu Kinah. Sie schritt mit gesenktem Kopf so zügig voran, wie sie es vermochte. Er erkannte ihre Erschöpfung daran, dass sie das linke Bein nachzog und verkrampft die Arme bewegte, um ihr Gleichgewicht zu halten. Er erinnerte sich nicht, Ventura und Kinah vor dem übereilten Abmarsch miteinander sprechen gesehen zu haben. Doch das hatte nichts zu sagen. In den Minuten nach der Explosion des Hubschraubers war er wie in Trance gewesen und hatte nichts weiter von seiner Umgebung wahrgenommen als aufgeregtes Stimmengewirr und hektische Bewegungen.
»Wieso meine Frau?«
»Fragen Sie sie«, wiederholte Ventura mürrisch.
Das würde Dirk auch, aber nicht sofort. Nicht jetzt, da er es endlich gewagt hatte, den Mann anzusprechen, als dessen Gefangene sie sich betrachten mussten.
»Was soll das Gerede von Kampf und Tod?«, bohrte er nach.
Ventura runzelte die Stirn. »Sie meinen, nachdem ihr meinen Hubschrauber in die Luft gejagt und drei meiner besten Leute umgebracht habt?«
Dirk biss sich auf die Unterlippe. Es stimmte, sie hatten ihm den Kampf aufgezwungen, nicht umgekehrt. »Es ist … alles so schrecklich schiefgegangen.«
»Ja, so kann man das auch sehen.«
»Ich meine … es tut mir leid, dass alles so gekommen ist.«
»Da sind wir ja schon zu zweit«, sagte Ventura bissig. »Mir tut es auch leid – dass ich nicht gleich das Feuer auf Ihre Amateurkiller eröffnet habe.«
Dirk sah nach Westen, wo die Nacht noch lange nicht bereit war, der Morgendämmerung zu weichen.
Am dunklen Himmel glitzerten eine Hand voll Sterne wie Nadelstiche in einem schwarzen Tuch. Welch ein eigenartig friedlicher Anblick nach all dem Grauen.
»Mit dem Hubschrauber sind unsere beste Fluchtmöglichkeit und unsere Munitionsvorräte hochgegangen«, fuhr Ventura fort. »Außerdem haben wir den Ausgangspunkt unserer kleinen Wanderung durch zwei qualmende, kaum zu übersehende Wracks markiert. Wie lange werden unsere Gegner wohl brauchen, um unsere Spur aufzunehmen? Was meinen Sie, Gallwynd?«
Dirk war klar, dass die Frage rein rhetorisch war. Er wandte sich nach Osten, dorthin, wo sich der Himmel zunehmend rötete. Karel hatte recht, es würde nicht mehr lange dauern, bis die Sonne aufging.
Er rechnete damit, dass Ventura ihn wieder nach vorne schicken würde, zurück zu Jurij, doch zu seiner Überraschung sagte der Araber stattdessen: »Sie fragen sich sicherlich, wie Sie es geschafft haben, uns in diese Scheiße zu reiten. Das frage ich mich nämlich auch. Anfangs lief es eigentlich ganz gut. Als ich Sie in Al Afra sah, dachte ich, ich käme dem FSB zuvor.«
»FSB?«, stieß Dirk überrascht hervor. »Der russische Geheimdienst?«
»Ja, einer der Geheimdienste, die das haben wollen, zu dem Sie und Ihre Familie der Schlüssel sind.« Ventura hielt kurz inne und ergänzte dann: »Na ja, Sie eigentlich weniger. Sie sind nur ein Anhängsel. Wenn sich Ihre Frau einen anderen Mann ausgesucht hätte – und ich wünschte bei Gott, sie hätte es getan –, dann würde der jetzt neben mir gehen. Oder auch nicht, denn er hätte sich bestimmt intelligenter angestellt als Sie.«
Das hatte Dirk gerade
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