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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wirklichen Halt versprach. Tatsächlich bekam er sie zu fassen, wenn auch nur mit einer Hand …
    Da sackte der Boden unter ihm mindestens einen halben Meter durch. Er ließ nicht los. Er durfte nicht loslassen. Er war nicht alleine hier, er musste Kinah retten und sich dann auf die Suche nach Noah machen, der vielleicht gar nicht weit entfernt ebenfalls mit dem Sturm und um sein Leben rang.
    Mit einer entschlossenen Bewegung warf sich Dirk nach vorne und packte auch mit der anderen Hand das Rückgrat der urzeitlichen Bestie. Der Sturm zerrte mit derart wütender Gewalt an ihm, dass er das Gefühl hatte, seine Finger würden aus den Gelenken gerissen, und vor Schmerz aufschrie. Er spannte sämtliche Muskeln an. Der Sturm hielt dagegen und beutelte ihn, als sei er von einem boshaften Vernichtungswillen besessen. Doch Dirk zog sich unbeirrt weiter und presste sich schließlich mit dem Oberkörper gegen die Wirbelsäule. Die Urgewalten, die den Hang erschütterten, hatten das Rückgrat weitgehend freigelegt und ermöglichten ihm nun, die Knochen vollständig zu umschlingen.
    Keinen Augenblick zu früh. Ein gewaltiges Beben durchfuhr die Geröllhalde. Dirk wurde zusammen mit dem versteinerten Skelett erst nach oben geschleudert und dann zur Seite geworfen. Eine kräftige Bö fauchte ihm ins Gesicht und riss ihm die Luft von den Lippen. Der nächste Windstoß traf ihn in den Rücken und drückte ihn mit spielerischer Leichtigkeit gegen das urzeitliche Gerippe. Irgendetwas krachte. Dirk klammerte sich mit aller Kraft fest …
    … und sank mitsamt den Knochen und dem Geröll ein Stück in den Boden. Als er begriff, was passierte, reagierte sein Magen mit einer Woge von Übelkeit.
    Der Hang brach in sich zusammen. Dirk presste seine Oberschenkel um das Rückgrat wie ein Rodeoreiter und versuchte, sich mit den Fingern an den Wirbeln festzukrallen. Es ging nur ein paar Sekunden lang gut. Als der trügerische Untergrund von immer stärkeren Erschütterungen heimgesucht wurde, schwang Dirk hin und her und verlor beinahe den Halt. Dann begann sich die große, versteinerte Knochensäule zu drehen …
    Dirk stieß einen erstickten Schrei aus. Hier stürzte nicht einfach eine Geröllhalde in sich zusammen, hier geschah etwas ganz anderes. Vor Dirks innerem Auge blitzte die Vision eines riesigen Ungeheuers auf, das unter ihm aus einem Jahrtausende währenden Schlaf erwachte und sich zu räkeln begann. Eine gewaltige Kreatur, auf deren geschuppter Haut sich im Laufe einer unvorstellbar langen Zeit Sand und Gesteinssplitter angesammelt und verkrustet hatten, bis sie aussah wie ein Hang, wie ein von Erosion angegriffener Hügel.
    Wieder wurde Dirk nach oben geschleudert. Die Wirbelsäule drehte sich langsam, mit einem grausigen, durchdringenden Knirschen, das das Ächzen, Dröhnen und Wummern, das die Auflösung der Geröllhalde begleitete, mühelos übertönte. Der Wind peitschte über ihn hinweg, umheulte und umtoste ihn wie eine außer Rand und Band geratene Dämonenschar, riss an seinen Haaren und ließ seine Kleider flattern. Schon längst hörte Dirk seine eigenen Schreie nicht mehr. Er klammerte sich an den gigantischen Knochen wie ein Ertrinkender in stürmischer See an einen Baumstamm. Die Luft war voller Sand und scharfer Splitter, von denen nicht wenige sein Gesicht trafen. Er merkte es kaum, war vollauf damit beschäftigt, nicht loszulassen und so viel der aufgewühlten, verdreckten Luft einzuatmen, dass seine Lungen genug Sauerstoff bekamen. Als Folge hatte er einen fürchterlichen Geschmack im Mund, ganz zu schweigen davon, dass sich sein Hals rau und wie verklumpt anfühlte. Dirk hatte von Menschen gehört, die in der Wüste von einem Sandsturm regelrecht ausgetrocknet worden waren, die nicht mehr genug Luft in ihre Lungen hatten pumpen können, sondern fast nur noch feinkörnigen Sand eingeatmet hatten. Ihm erging es jetzt ähnlich, nur mit dem Unterschied, dass er auch winzige, messerscharfe Gesteinssplitter einsog, die seine Lungen von innen zu zerfetzen vermochten.
    Es wäre eine gute Idee gewesen, sich irgendein Stück Stoff vor den Mund zu halten, aber dazu hätte er seinen Griff lockern müssen, und das war unmöglich. Unter ihm knarzte und krachte es, und ehe er es sich versah, flog das versteinerte Skelett auch schon einen oder zwei Meter in die Höhe. Es war keine Explosion, sondern eine andere, nicht minder gewaltige Kraft, die den Hang anhob und damit auch Dirk und den Knochen, an den er sich verzweifelt

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