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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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klammerte.
    Ohrenbetäubender Krach dröhnte in seinen Ohren und eine Wolke aus Gesteinsbrocken, Staub und Sand hüllte ihn ein. Er sackte durch und wurde erneut hochgeschleudert. Er hätte nicht einmal sagen können, ob der Hang als solcher überhaupt noch existierte. Überall um ihn herum war Bewegung, ein Auf und Ab von durcheinanderwirbelnder Materie. Neben ihm schoss ein gigantisches Gebilde in die Luft, überschlug sich und krachte wieder zu Boden.
    Dirk wandte den Kopf zur Seite, drückte seine Wange gegen den kalten Knochen und versuchte, so flach wie möglich zu atmen. Jeder Atemzug bedeutete unsägliche Qual. Sand und Steine drangen wie Glassplitter in seine Kehle, sodass er vor Pein am liebsten aufgeschrien hätte.
    Und dann geschah, was geschehen musste. Der Untergrund rutschte weg. Donnernd stürzte der Hang unter Dirk ein und riss ihn mit, bis sich die Wirbelsäule irgendwo verfing und ihre Bewegung abrupt stoppte. Ein gewaltiger Ruck ging durch seine Arme, sein Kinn schlug auf den steinharten Knochen. Dirk stieß einen Angstschrei aus, klammerte sich jedoch weiterhin an den Wirbeln fest. Seine Beine baumelten über einem pechschwarzen, unermesslich tiefen Abgrund. Dann begann das Skelettteil, an dem er hing, hin und her zu pendeln. Dirk ignorierte die pochenden Schmerzen in seinen Händen und Armen und hielt sich krampfhaft fest, spürte aber, wie seine Finger Zentimeter für Zentimeter abrutschten. Seine Kräfte ließen rapide nach, und die vom Sand der Jahrtausende glatt geschliffene Oberfläche des versteinerten Knochens wurde noch schlüpfriger durch das Blut, das aus den zahllosen Rissen und Schnitten in seinen Händen quoll.
    Dann traf ihn ein zweiter, noch härterer Ruck. Es war, als würden ihm die Arme aus den Schultergelenken gerissen. Dirk brüllte in reiner Agonie, ließ los … und stürzte inmitten von Geröll, Splittern und Sand in die Tiefe.

Kapitel 34
    Irgendetwas stimmte nicht. Im ersten Moment hätte Dirk nicht einmal sagen können, was. Doch dann wurde er sich der Unterschiede zu ihren früheren Begegnungen immer deutlicher bewusst. Das Lagerfeuer in der Höhle prasselte eher zaghaft und kümmerlich vor sich hin, statt funkensprühend hochzuzüngeln, und das Gesicht des alten Mannes wirkte weitaus schmaler und verhärmter, als Dirk es in Erinnerung hatte. Die schlohweißen, vormals ordentlich gekämmten Haare hingen nun wirr und verdreckt hinunter, und auf der zerfurchten Stirn perlten Schweißtropfen.
    »Jetzt bist du also gekommen«, sagte der Schamane.
    Seine Stimme klang wie eine knarrende alte Eiche, rau und ursprünglich. Das war auch vorher so gewesen, doch während Dirk den alten Mann bislang immer problemlos hatte verstehen können, musste er sich nun anstrengen, um überhaupt den Sinn seines Gemurmels zu erschließen.
    »Ja, ich …« Dirk verstummte. Seine Stimmbänder wollten ihm nicht gehorchen, und sein Hals fühlte sich so wund an, als hätte er mit Glassplittern gegurgelt. Aber das war nicht einmal das, was ihn am meisten quälte. Es war seine Wahrnehmung. Er sah den Alten nur verschwommen, und im schwachen Feuerschein zerfloss auch die Umgebung wie bei einer schlechten Computergrafik aus den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Erst nach und nach begriff Dirk, woran das lag: Sand und Gesteinssplitter rieselten unablässig von der Decke, untermalt von einem leisen Rumoren, das alles andere als vertrauenerweckend klang.
    »Jetzt bin ich da«, brachte er mühsam hervor.
    »Ja. Fast zu spät.« Der Alte zuckte bedauernd mit den Schultern. »Ich hätte dich gerne persönlich kennengelernt. Aber dafür bleibt uns keine Zeit mehr.«
    Dirk blinzelte. Seine Gedanken bauten nicht logisch aufeinander auf, sondern waren völlig durcheinander und wurden von Gefühlen begleitet, die es ihm zusätzlich erschwerten, das einzuordnen, was ihm passiert war und was gerade hier geschah. Am allerwenigsten begriff er, was der Schamane von ihm wollte.
    »Wie … wie meinst du das?«, fragte er.
    Der Weißhaarige winkte ab. »Das wirst du noch früh genug verstehen. So, wie du in den letzten Tagen bereits sehr viel verstanden hast. Zum Beispiel, warum sich Kinah intensiv mit der Vergangenheit verschiedenster Völker auseinandersetzen musste.«
    »Um zu verstehen, was die Zukunft bringt«, vermutete Dirk.
    Ein schmerzlicher Ausdruck huschte über das Gesicht des Schamanen.
    »Kein Mensch kann die Zukunft verstehen. Es fällt uns schon schwer genug, in der Gegenwart zu leben. Und

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