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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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rutschte und sich eine Straßenkarte vors Gesicht hielt. Dirk registrierte in diesem Moment nur ganz am Rande seines Bewusstseins, was er bereits während der Fahrt und vor allem bei der Aktion mit der Minikamera empfunden hatte: Diese beiden so unterschiedlichen Männer waren ein perfekt eingespieltes Team.
    »Hier«, sagte Biermann und reichte Dirk eine Zeitung nach vorne. »Die Abendzeitung von gestern. Tun Sie so, als würden Sie sie lesen, und heben Sie unter keinen Umständen den Kopf.«
    Dirk schlug gehorsam die Zeitung auf. Ihre Burgerleidenschaft brachte ihnen den Tod las er da, eine vollkommen sinnlose Überschrift, unter der das Foto von einer zerstörten Burger-King-Filiale und drei Porträts von Jugendlichen prangten, bei denen man die Augen mit schwarzen Balken unkenntlich gemacht hatte.
    Wo war Ventura?
    John setzte den Wagen zügig rückwärts aus der Parklücke, aber nicht zu schnell, damit es nicht wie eine Flucht aussah – obwohl das wahrscheinlich keinen Unterschied mehr machte. Wenn Ventura bereits misstrauisch geworden war, würde ihn kein Fahrmanöver der Welt davon abbringen, das zu überprüfen, was er überprüfen wollte.
    Was wollte dieser Kerl von ihnen?
    John fuhr nicht zurück, sondern folgte dem Verlauf der offenbar erst vor wenigen Jahren neu angelegten Straße.
    Unter den sieben Todesopfern, die die Sturmkatastrophe vom Wochenende forderte, waren auch Kai, Anne und Jan. Die drei Jugendlichen waren Stammgäste im Burger King in der Stadtmitte. Sie hatten …
    Sieben Todesopfer. Dirk runzelte die Stirn. Er dachte daran, wie John ihn abgeholt und durch ein heftiges Unwetter zu dem stämmigen Mann mit der scheußlichen, rot getupften Krawatte gefahren hatte. Es kam ihm irgendwie absurd vor, dass sieben Menschen gestorben sein sollten, während er im Hausflur mit Lubaya gestritten hatte und anschließend zum ersten Mal seit drei Jahren mit Biermann zusammengetroffen war. Und es bewies ihm, dass er kaum noch etwas von dem mitbekam, was in seiner unmittelbaren Umgebung geschah. Er war mit Sicherheit der einzige Münchner, der nach Marokko hatte fliegen müssen, um dort aus einem Zeitungsartikel von den Opfern der Sturmkatastrophe zu erfahren, die seine Heimatstadt getroffen hatte.
    »Wir haben gleich das Ende des Dorfs erreicht«, sagte John. »Und wohin dann?«
    »Was ist mit Ventura?«, fragte Biermann.
    »Er ist am Parkplatz vorbeigegangen, runter zum Ufer.«
    Biermann ließ die Karte sinken und tippte Dirk auf die Schulter. »Sie können Ihre Lesestunde beenden.«
    »Nichts lieber als das.« Dirk senkte raschelnd die Zeitung. »Und was ist jetzt mit Kinah?«
    »Wir müssen noch ein Stückchen weiter … Fahr mal langsamer … Ja, dort, wo es wieder felsig wird.« Biermann beugte sich vor und deutete nach rechts. »Die kleine Gasse, die dort ans Wasser führt.«
    Rastalocke lenkte den Wagen gehorsam in die angegebene Richtung. Es war ein von zerklüfteten Felsen gesäumter Kiesweg, kaum breit genug für den schweren Geländewagen, doch John erwies sich einmal mehr als sehr umsichtiger und geschickter Fahrer.
    Am Meeresufer lagen braune Boote mit gelb und blau gestrichenen Paddeln. Direkt hinter den Booten, am Fuße einer steil aufragenden Klippe, standen ein paar Bungalows, eingerahmt von Büschen, Palmen und Olivenbäumen. Erst als sie näher kamen, erkannte Dirk, dass das offensichtlich nicht der beste Vorort von Al Afra war. Die üppig wuchernde Vegetation verdeckte zwar größtenteils die Spuren, die die Witterung an den Häusern hinterlassen hatte, aber hier und da sah er trotzdem abgeblätterte Farbe, eingerissene, gesplitterte Holzpaneele und verrottete Fensterrahmen. Dieser kleinen Siedlung hätte ein frischer Anstrich in den landesüblichen Pastellfarben und das eine oder andere neue Fenster oder Holzelement eindeutig gutgetan.
    »Halt hier irgendwo«, befahl Biermann.
    »Damit keiner mehr durchkommt?«
    »Da vorne ist eine Lücke.«
    »Eher eine Einfahrt«, brummte Rastalocke. »Und so, wie die aussieht, ist sie für einen Fiat Punto gemacht, nicht für einen Roamer. Ihr solltet besser aussteigen, bevor ich da reinfahre.«
    Dirk folgte der Aufforderung, kaum dass der Geländewagen zum Stillstand gekommen war. Er sah nicht zu, wie John parkte. Alles in ihm war in Aufruhr. Kinah war hier, dessen war er ganz sicher. Er spürte ihre Nähe einfach, genauso, wie er sie auch immer zu Hause gespürt hatte – in ihrem ersten Zuhause. Es war jene Art von sechstem Sinn, von der ihm Kinah

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