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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hauste.
    »Hier herüber«, schnappte Rastalocke. »Nun komm schon, Mann!«
    Johns erneutes Umschalten auf Kumpel-Duz-Modus, wie er es bereits an jenem Tag versucht hatte, als Dirk in sein versifftes Taxi gestiegen war, ärgerte diesen maßlos. Er hatte keine Lust, sich von einem Junkie duzen zu lassen. Und schon gar nicht, wenn dieser Junkie ihn aufforderte, zu einem Rattennest hinabzuklettern.
    Der langsam unerträglich werdende Krampf in seinem rechten Arm vertrieb ihm jedoch sehr schnell die Lust, weiter darüber nachzudenken. Er strengte sich an, um in der Dunkelheit mehr zu erkennen als bedrohlich schroffes Gestein, das ihn umgab und immer wieder auf ihn zuzukommen schien, obwohl er bemüht war, sich in der Mitte des Schachts zu halten. Aber das wollte ihm nicht gelingen. Johns Stimme – war sie von rechts oder von links gekommen? Er konnte sie einfach nicht lokalisieren. Doch viel wichtiger war in diesem Moment, dass er sich endlich entscheiden musste, ob er wieder fluchtartig nach oben klettern oder das Risiko eingehen wollte, bei der Suche nach Kinah in eine Meute borstiger, widerlicher Viecher hineinzustolpern, die nur darauf warteten, das Werk zu vollenden, das ihr Artgenosse vor einer halben Ewigkeit mit einem Biss ins Handgelenk begonnen hatte.
    »Ey, hier, Mann!«, brüllte John aus voller Kehle.
    So viel zu dem Versuch, sich leise und unbemerkt einzuschleichen.
    Dirk glaubte, ein Stück unter sich eine Hand zu sehen, die ihm zuwinkte, doch schon im nächsten Augenblick war er sich dessen nicht mehr sicher.
    »Birdie!«, schrie Rastalocke kaum weniger laut als zuvor und mit einer Ungeduld in der Stimme, die Dirk gar nicht gefiel. »Du hast doch die Lampe! Leuchte mal runter! Gallwynd traut sich sonst nicht zu mir!«
    Es passierte gar nichts – abgesehen davon, dass das Seil zu schwingen begann, zuerst kaum merklich, dann immer heftiger.
    »Birdie! Pennst du? Nun leuchte schon, Mann!«
    »Geht nicht«, rief Biermann. »Ich hänge auch am Seil.«
    Das war übertrieben, denn zwei oder drei Sekunden verstrichen – in denen Dirk verzweifelt und vergebens nach Rastalocke Ausschau hielt –, bevor ein kräftiger Ruck durch das Seil ging und davon kündete, dass Biermann die Abseilnummer durch den nächsthöheren Schwierigkeitsgrad würzte. Das Seil schwang derart wild hin und her, als würde ein minderbegabter Fakir versuchen, den indischen Seiltrick damit vorzuführen.
    »Biermann!«, rief Dirk. »Lassen Sie den Quatsch!«
    »Das ist kein Quatsch!«, rief Biermann zurück. »Janette hat mich gerade auf dem Handy angerufen.«
    »Na toll.« Dirk starrte nach unten. Seine Arme und Hände schmerzten nicht mehr. Zumindest hatte das, was er in ihnen fühlte, nichts mehr mit normalem Schmerz zu tun. Sie schienen von innen her in Flammen zu stehen. Er wusste, dass er sich nur noch für zehn oder fünfzehn Sekunden würde halten können. »John! Wo stecken Sie?«
    »Hier!«
    Plötzlich erkannte Dirk ganz deutlich eine Bewegung. Nicht einmal weit weg von ihm und doch in fast unerreichbarer Ferne. Denn wenn er Rastalocke und den rettenden Gang erreichen wollte, musste er wohl oder übel seine verkrampften Hände lösen, sich ein Stück nach unten hangeln und dann irgendwie dort hinüberschwingen, wo John war – was durch Biermanns Manöver vollkommen unmöglich zu werden drohte.
    »Janette hat jemanden gesehen«, fuhr Biermann ungerührt fort.
    Schön für sie, dachte Dirk. Er löste die rechte Hand vom Seil und packte so schnell es ging und mit aller Kraft ein Stück tiefer wieder zu. Der Schmerz in seinen verkrampften Muskeln trieb ihm die Tränen in die Augen, sodass er seine Umgebung noch undeutlicher wahrnahm als zuvor.
    »Aber ich glaube nicht, dass er sie auch gesehen hat.«
    Noch schöner für sie.
    »Hier.« Dirk spürte, wie etwas sein rechtes Bein berührte. Es war Rastalocke, der ihn nun ohne viel Federlesens zu sich heranzog. Und das keinen Augenblick zu früh, denn Biermann versetzte das Seil mit seiner ungestümen Kletteraktion in dermaßen heftige Bewegung, als wolle er dafür sorgen, dass Dirk abstürzte.
    »Der Roamer hat getönte Scheiben.« Biermanns Stimme klang nah. »Und bei Dunkelheit ist es doppelt schwer, im Innenraum jemanden zu erkennen.«
    »Halten Sie die Klappe!«, schrie Dirk. »Und bewegen Sie sich nicht! Ich muss jetzt rüberklettern!«
    »Ja, aber …« Biermann verstummte. Er schien endlich einzusehen, dass sich niemand für sein Telefonat mit Janette interessierte – zumindest

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