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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Warum tut sie so was? Was hast du getan, dass sie uns verlassen hat?«
    Dirk sah, wie seiner Tochter Tränen in die Augen traten und wie sie dagegen ankämpfte. »Diese Frage habe ich mir auch immer wieder gestellt, das kannst du mir glauben«, murmelte er. »Aber ich habe keine Antwort darauf gefunden.«
    Akuyi starrte ihn an. Schweigend. Aber was Dirk in ihrem Blick las, war fürchterlich. Es war ein Verdacht, der noch keine Worte gefunden hatte. Aber wenn er es tat …
    Für einen Moment sah sie aus wie ein Fisch auf dem Trockenen, der verzweifelt nach Luft schnappt. Dirk rechnete mit dem Schlimmsten. Angesichts der ungeheuren Vorwürfe, die jetzt kommen würden – kommen mussten –, krampfte sich sein Magen zusammen.
    Doch als Akuyi schließlich zu sprechen begann, klang ihre Stimme beinahe gefasst. Und sie sagte etwas völlig anderes, als er erwartet hatte.
    »Als Mama aus der Garage wiederkam, in der Sturmnacht, nach der sie verschwunden ist – da war sie irgendwie … verändert.«
    Dirk starrte seine Tochter fragend an. Er begriff nicht im Geringsten, worauf sie hinauswollte. »Ich habe nichts bemerkt.«
    Akuyi nickte. »Du hast nichts gemerkt, weil ich zwischen euch in der Besucherritze lag. Normalerweise, wenn sich Mama neben mich legt …« Akuyi unterdrückte ein Schluchzen, bevor sie fortfuhr. »… dann streichelt sie mich. Oder legt den Arm um mich. Oder kitzelt mich. Irgendetwas.« Sie verstummte.
    Dirk fehlte die Kraft, nachzufragen, denn er fürchtete die Antwort.
    »Aber in der Nacht lag sie da wie eine große Puppe, Papa. Wie eine Puppe, die zittert!«
    Dirk starrte sie entsetzt an. »Du meinst …«
    »In der Garage ist irgendetwas Schreckliches passiert.« Eine Träne rann aus Akuyis rechtem Auge und zeichnete eine feuchte Spur auf ihre Wange. »Sie muss dort etwas gesehen haben … Oder jemandem begegnet sein …«
    Dirk brauchte ein paar Sekunden, um sich zu sammeln. »Warum hast du mir nichts davon gesagt?«, flüsterte er schließlich.
    »Weil …« Eine zweite Träne folgte der ersten. »Weil ich nicht wusste, warum Mama so war. Ich habe sie noch nie so erlebt.«
    »Aber die letzten beiden Tage …« Dirk schwieg. Wollte er seiner Tochter etwa jetzt Vorwürfe machen? War er verrückt?
    Akuyi wischte sich mit dem Handrücken über die Wange. »Hast du eine Ahnung …?«
    Sie ließ den Rest ihres Satzes ungesagt, aber Dirk begriff. »Nein. Ich habe keine Ahnung, was dort geschehen ist. Als ich in der Garage war, hat der Sturm das kleine Seitenfenster aufgedrückt, und ich hatte Mühe, es wieder zu schließen. Es war fürchterlich laut, das Dach hat geklappert, als würde es jeden Moment wegfliegen. Aber ich habe niemanden gesehen.«
    »Überhaupt niemanden?«
    »Niemanden … außer den Skulpturen.« Er wusste nicht, warum er das sagte. Nicht nur, dass es keine Rolle spielte – es war völlig überflüssig.
    Aber Akuyi ergriff auch diesmal nicht die Gelegenheit, eine spitze Bemerkung zu machen. Sie kramte aus ihrer Hosentasche ein Papiertaschentuch hervor und schnäuzte sich umständlich. Dirk sah ihr dabei zu, sah sie jedoch gleichzeitig auch wieder nicht. Eine Begegnung in der Garage? Gewiss, die Tür ließ sich nicht richtig schließen. Aber er hatte ein massives Kantholz unter die Klinke gedrückt. Vollkommen unmöglich, dass jemand sie aufdrücken konnte.
    Trotzdem … er würde noch heute zur Polizei gehen und auf der Vermisstenanzeige bestehen, die man zuerst nicht hatte annehmen wollen. Und bei der Gelegenheit würde er den Beamten von Akuyis Verdacht berichten. Vielleicht wussten sie irgendetwas von einem Einbrecher oder einem Perversen, der ihre Siedlung unsicher machte.
    »Du hast«, sagte Akuyi und schnäuzte sich erneut, »du hast gesagt, es sei eine gute Nachricht, dass Mama ihren Pass und ihre Kleidung mitgenommen hat. Was ist dann die schlechte Nachricht?«
    Dirk zögerte. »Das ist nicht so wichtig.«
    Akuyi hielt mitten in der Bewegung inne. »Du willst es mir nicht erzählen«, stellte sie fest. »Du denkst wohl, ich wäre noch ein Baby!«
    »Nein«, protestierte Dirk. »Überhaupt nicht. Ich denke nur … wir haben noch viel Zeit, über alles zu sprechen.«
    »Ich will es aber jetzt wissen!«, fauchte Akuyi. »Ich will alles wissen, was mit Mama zu tun hat.«
    Dirk schloss einen Herzschlag lang die Augen. In seinem Kopf drehte sich alles.
    Als er die Augen wieder öffnete, sah ihn Akuyi immer noch mit jenem halb vorwurfsvollen, halb erwartungsvollen Blick an, dem er

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