Sturm ueber Cleybourne Castle
die der Duke of Cleybourne darstellte. Wenn sie nicht vorsichtig war ... wenn sie nicht aufpasste ... dann bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie sich in ihn verliebte. Und das wäre die allergrößte Torheit.
14. KAPITEL
Jessica erwachte am anderen Morgen mit jener Art von Kopfschmerzen, die sie immer bekam, wenn sie sich in den Schlaf geweint hatte. Seufzend erhob sie sich, tauchte einen Waschlappen in kaltes Wasser, träufelte einige Tropfen Lavendel darauf und legte sich mit dieser Kompresse auf der Stirn noch einmal ins Bett, um den Schmerz zu lindern. Nach etwa zehn Minuten entschloss sie sich, wenn auch widerwillig, nun endgültig aufzustehen und sich anzukleiden, obwohl sie viel lieber den ganzen Tag über im Bett geblieben wäre, um sich ihrem Selbstmitleid hinzugeben. Aber das kam überhaupt nicht infrage. Was nützten alles Bedauern und alle Überlegungen, was wäre wenn ... Ihr Leben war so, wie es war, und sie konnte weder an der Tatsache etwas ändern, dass sie nie und nimmer die passende Gemahlin für einen Duke wäre, noch daran, dass Richard seine verstorbene Frau immer noch abgöttisch liebte. Alles, was ich tun kann, sagte sie sich, ist, mein Leben so zu genießen, wie es nun einmal ist, und mich auf gar keinen Fall in den Duke of Cleybourne zu verlieben.
Aus diesem Grund vermied sie es auch den ganzen Tag, irgendwo mit Cleybourne zusammenzutreffen. Die meisten Stunden verbrachte sie mit Gabriela beim Unterricht im Schulzimmer oder am Krankenbett von Rachel. Als er dann aber doch überraschend bei seiner Schwägerin erschien, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, während Jessica und Gabriela mit der Patientin Karten spielten, erhob sich Jessica rasch und entschuldigte sich unter dem Vorwand, sich um die Gäste kümmern zu müssen.
Beim Hinausgehen erhaschte sie noch Richards fragenden Blick, doch sie tat, als habe sie ihn nicht bemerkt. Um nicht als Lügnerin dazustehen, sah sie dann auch tatsächlich in
den unteren Räumen nach dem Rechten. Allerdings hätte sie gewünscht, diese Ausrede nicht benutzt zu haben, denn jeder der anwesenden Gäste - mit Ausnahme von Darius Talbot, der sofort das Zimmer verließ - hatte ihr irgendetwas zu Hagen. Miss Pargety beklagte sich darüber, dass sie nicht habe schlafen können, weil die ganze Nacht hindurch ein ständiges Hin und Her auf dem Korridor gewesen sei und die Türen dabei laut geklappt wurden. Lord Kestwick machte einen äußerst gelangweilten Eindruck. Offensichtlich war er der Glücksspiele mit Lord Vesey überdrüssig geworden und wohl auch - so vermutete Jessica zumindest - des ständigen Mirtens von Lady Vesey. Mr. Goodrich wollte wissen, wann sie wohl endlich wieder aufbrechen könnten, und Mr. Cobb wirkte wie üblich irgendwie bedrohlich. Mrs. Woods trommelte unruhig mit den Fingern auf der Armlehne ihres Sessels und antwortete nur mürrisch und einsilbig, als Jessica versuchte, eine Unterhaltung mit ihr zu beginnen. Selbst Keverend Radfield, der eigentlich immer zu einem anregenden Gespräch bereit gewesen war, hielt sich heute auffallend zurück. Nur Leona brachte merkwürdigerweise keine Klagen vor. Sie schien so zufrieden zu sein wie eine satte Katze, was Jessica zu der Annahme veranlasste, dass sie die Nacht mit einem anderen Mann als ihrem eigenen verbracht hatte.
Nachdem jeder der uneingeladenen Gäste sein Herz ausgeschüttet hatte, zog sich Jessica wieder in ihr Zimmer zurück. Dort fand sie jedoch zu ihrer Überraschung eines der Hausmädchen, die sommersprossige Flora, vor, die mit einem kleinen Beutel auf dem Schoß stocksteif auf einem der Stühle saß. Als Jessica eintrat, sprang Flora auf, und ihre Miene verdüsterte sich.
„Miss Maitland, ich ...", begann sie unsicher. „Das heißt, Baxter meinte, ich soll Ihnen das bringen." Zögernd hielt sie Jessica den Beutel hin. „Ich hab's im Musikzimmer hinter einem Sessel gefunden."
Neugierig blickte Jessica in den Leinenbeutel. Es lagen ein paar zerbrochene und zersplitterte Holzstücke sowie metallisch glitzernde Gegenstände darin. „Mein Schmuckkästchen!" rief sie überrascht.
Flora nickte betrübt. „Ja, Miss, ich hab's gleich vom Saub ermachen her erkannt. Aber ich habe keine Ahnung, wie es dorthin gekommen ist und warum es kaputtgemacht wurde."
Jessica holte eine Hand voll des Inhaltes heraus - eine Brosche, eine Kette, einen Ohrring und ein paar Holzstücke, die zu dem verzierten Deckel gehört hatten. Dann schüttete sie den Beutel auf ihrem Bett aus
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