Sturm ueber Cleybourne Castle
Die Zeit verrann quälend langsam. Jessica fragte sich bereits, wo Cleybourne so lange blieb und ob sie ihm vielleicht folgen sollte, als am oberen Ende der Treppe ein Schatten auftauchte. Erschrocken presste sie die Hand auf ihr Herz. Doch als die dunkle Gestalt die Stufen herabstieg, erkannte sie zu ihrer Erleichterung den Duke.
In diesem Augenblick wurde wieder eine Tür geöffnet. In Windeseile duckte sich Richard hinter die große Blattpflanze, die sich Jessica eigentlich als Versteck ausgesucht hatte. Nun erschien Mrs. Woods wieder im Blickfeld der beiden Lauscher und ging zu ihrem Zimmer. Von dort konnte sie Richards Schlupfwinkel sehr leicht einsehen, doch diesmal schaute sie sich zum Glück nicht um, sondern verschwand rasch in dem kleinen Gästezimmer.
Mit zwei großen Schritten war Richard wieder in dem Alkoven und ließ sich aufatmend neben Jessica auf die Bank fallen.
„Da habe ich ja noch einmal Glück gehabt", sagte er leise. „Ich habe mir schon überlegt, wie ich Mrs. Woods erklären sollte, dass ich mich in meinem eigenen Haus hinter Blumentöpfen verstecke."
Jessica hielt sich die Hand vor den Mund, um ihr Kichern zu unterdrücken. „Das wäre in der Tat schwierig gewesen", flüsterte sie. „Und was ist mit Vesey? Haben Sie ihn gefunden?"
„Allerdings. Der Bursche lümmelt in einem der Sessel in meinem Arbeitszimmer und trinkt meinen Portwein. Unverschämter Mistkerl! Oh, ich bitte um Verzeihung für diesen unfeinen Ausdruck."
„Nicht nötig", entgegnete Jessica geistesabwesend und fuhr dann fort: „Meinen Sie nicht auch, dass er sich wohl kaum so kaltblütig dorthin begeben hätte, wenn er der Eindringling gewesen wäre?"
„Die Götter allein wissen, was Vesey in den Sinn kommt", murmelte Richard. Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen. Dann fragte er leise: „Warum sind Sie mir heule eigentlich den ganzen Tag aus dem Weg gegangen?"
Rasch wandte Jessica den Kopf zur Seite. „Das habe ich doch gar nicht getan."
„Es machte aber den Anschein. Überall, wo ich hinkam, waren Sie gerade nicht anwesend", sagte er gleichmütig. In Wahrheit aber war er den ganzen Tag mit der unterschwelligen Absicht, Jessica irgendwo zu begegnen, von Zimmer zu Zimmer gegangen. Erst in Rachels Schlafzimmer hatte er sie zu seiner grenzenlosen Erleichterung angetroffen. Aber sie hatte sich sofort zurückgezogen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
„Ich habe das getan, wofür ich angestellt bin - nämlich Gabriela Unterricht zu geben", versetzte Jessica kühl.
„Aha. Aber dieser Umstand erklärt wohl kaum, warum Sie beim Abendessen hartnäckig meinen Blicken ausgewichen sind." Bei diesen Worten rückte er etwas näher, und als sich Jessica zu ihm umdrehte, um zu antworten, streiften sich fast ihre Wangen.
Vor plötzlicher Erregung erstarrte Jessica mitten in der Bewegung. Sie brachte kein Wort mehr über die Lippen, sondern war nur von dem einen Wunsch beseelt, dass er sie jetzt küssen möge. Bei dem bloßen Gedanken daran begann ihr Blut zu kochen. „B...bitte ...", stammelte sie.
Das leichte Zittern in ihrer Stimme weckte in Richard eine wilde Begierde, aber zugleich auch das Bedürfnis, die Arme um sie zu schlingen und sie vor allem Ungemach zu beschützen.
„Jessica ... "
Sacht strich er mit den Fingerspitzen über die seidige Haut ihrer Wangen. Jessica schloss die Augen, während eine Welle von Lust sie überströmte. Sie wusste, dass sie Richard abwehren sollte, ihn zur Ordnung rufen - aber ihre Zunge war wie gelähmt.
„Du bist so schön", flüsterte er. „So leidenschaftlich. Neulich Abend ... ich ..."
„Nein, nein!" stieß Jessica hervor. „Bitte nicht davon sprechen. Ich weiß, dass ich ... Ich habe mich so geschämt, weil ich ... "
„Sag das nicht! Und denk auch nicht so etwas! Du hast nichts Unrechtes getan." Richards Ton war eindringlich und bestimmt. „Ich war derjenige, der einen Fehler gemacht hat. Es war nichtswürdig von mir, dich zu küssen, ohne ein Recht dazu zu haben. Du hast alles richtig gemacht. Du warst liebreizend ... begehrenswert... einfach alles, was ein Mann sich wünscht." Zärtlich strich er ihr über das Haar.
Ihre Locken kräuselten sich um seine Finger und weckten begehrliche Gedanken in ihm. Er wusste, dass er Jessica eigentlich nicht wieder küssen durfte. Aber alle vernünftigen Überlegungen wurden ausgelöscht durch die Erinnerung an ihre zarten Brüste in seinen Händen, an die Sanftheit ihrer Haut, ihre vertrauensvolle Hingabe und ihr
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