Sturm ueber Cleybourne Castle
überflüssig. Das Herz schlug nicht mehr. Offensichtlich hatte Mrs. Woods sich bei dem Sturz das Genick gebrochen. Fassungslos starrte Jessica auf die Tote, deren Blässe selbst im nächtlichen Dunkel zu erkennen war.
In diesem Augenblick ertönte ein herzzerreißendes Stöhnen über ihr. Sie blickte auf und sah Reverend Radfield starr und steif inmitten der aufgeregten Gäste stehen. Seine Wangen waren kreidebleich, und das blanke Entsetzen war ihm ins Gesicht geschrieben.
„Reverend Radfield", sagte Jessica leise und wies mit dem Kopf auf Mrs. Woods, „möchten Sie nicht ein stilles Gebet sprechen?"
Es dauerte eine Weile, bis wieder Leben in den reglosen Körper des Geistlichen zurückkehrte. Doch noch immer starrte er verstört auf die Tote. Schließlich stammelte er: „Was? Ein Gebet... ja ... ja, natürlich." Langsam stieg er die Stufen hinab und klammerte sich dabei wie ein Ertrinkender an das Geländer. Wahrscheinlich hat der arme Mann noch nie einen Menschen gesehen, der gewaltsam zu Tode gekommen ist, dachte Jessica. Die Toten, die er einsegnen musste, waren sicherlich immer ordentlich aufgebahrt.
Inzwischen war auch Reverend Radfield neben Mrs. Woods in die Knie gesunken und nahm ihre schlaffe Hand in seine beiden Hände. Dann begann er, unsicher das Vaterunser zu murmeln, hielt jedoch bald wieder inne und wischte sich mit dem Handrücken über die Wange. „Sie hätte später sterben können", flüsterte er mit erstickender Stimme und legte ihre Hand sacht auf den Boden zurück. Mühsam wie ein ganz alter Mann erhob er sich, setzte sich auf die unterste Stufe und lehnte sich müde an das Geländer.
Jetzt endlich erschien auch Lord Vesey leise schwankend, init einem Leuchter in der Hand, und blickte verständnislos auf die Frau neben der Treppe. „Großer Gott, was ist denn hier passiert?" fragte er bestürzt.
„Ich habe keine Ahnung", erwiderte Richard und stand auf. „Offensichtlich ist Mrs. Woods die Treppe herabgestürzt. Aber ich weiß nicht, ob es ein Unfall war oder ob sie jemand hinuntergestoßen hat."
Bei seinen Worten ging ein erschrockenes Aufstöhnen durch die Schar der Gäste. Nur Lord Kestwick schien nicht beeindruckt zu sein.
„Was soll dieses Gerede?" rief er ärgerlich. „Wer sollte sie denn hinuntergestoßen haben? Und warum? Es liegt doch klar auf der Hand, dass sie eine Stufe verfehlt hat und gefallen ist."
„Zu dieser nächtlichen Stunde? Ich finde, es ist ein bisschen zu spät, um auf Treppen herumzuspazieren." Richard nahm Lord Vesey den Leuchter aus der Hand und hockte sich wieder neben der Toten nieder. „Sie hat einen Kratzer auf der Warige, der gerötet ist. Es sieht so aus, als habe sie jemand verletzt, als er sie die Treppe hinunterstieß."
Nun begann Miss Pargety, laut zu jammern, und Lord Kestwick, der neben ihr stand, sagte mürrisch zu Richard:
„Da sehen Sie, was Sie angerichtet haben."
„Aber das ist doch alles Unsinn, Richard", mischte sich nun auch Leona ein. „Werden Sie doch nicht melodramatisch. Sie kann sich den Kratzer ja auch geholt haben, als sie hinunterfiel."
„Das ist möglich ... ich vermute aber ..." Richard blickte zu den Gästen auf dem oberen Treppenabsatz. „Hat jemand zufällig etwas beobachtet?"
Ein allgemeines Schweigen war die Antwort.
„Nun gut." Er nickte kurz. „Ich denke, wir müssen den Vorfall so behandeln, als sei der Sturz vorsätzlich herbeigeführt worden. Leider sind wir eingeschneit und können den Friedensrichter im Dorf nicht erreichen. Deshalb werde ich als Grundherr den Fall übernehmen."
Nach und nach hatte sich auch der größte Teil der Dienstboten in der Halle eingefunden. Sie standen eng zusammengedrängt in einiger Entfernung von der Treppe. Richard winkte den Butler heran. „Baxter, lassen Sie die Kerzen anzünden und Decken herbeischaffen, um die Tote darin einzuhüllen. Es wird das Beste sein, die Leiche für die nächsten Tage draußen in einem der Schuppen unterzubringen. Sorgen Sie aber dafür, dass er gut abgeschlossen wird."
„Gewiss, sofort, Euer Gnaden."
„Wir müssen nun alle Tatsachen auflisten, die wir feststellen können", wandte sich der Hausherr dann wieder an die Gäste. „Ich denke, es wird ohnehin jetzt niemand in der Lage sein, sich wieder ins Bett zu legen und zu schlafen. Bitte, folgen Sie mir alle in den großen Salon. Nein, nein", setzte er hastig hinzu, als einige Anstalten machten, in ihre Zimmer zu gehen. „Niemand geht zurück in sein Zimmer! Jeder hat sich
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