Sturm ueber Cleybourne Castle
doch verständlich. Zeigen Sie es mir."
„Es liegt auf dem Frisiertisch." Mittlerweile hatten die beiden die Tür von Jessicas Zimmer erreicht und waren davor stehen geblieben, während sie sich noch unterhielten. Nun öffnete Jessica die Tür, ließ Richard eintreten und zeigte auf den Frisiertisch. Dann schloss sie leise wieder die Tür.
„Unglaublich!" Cleybourne betrachtete die Holzsplitter und schüttelte den Kopf. Nachdenklich drehte er die einzelnen Teile hin und her und wandte sich dann zu Jessica um. „Es ist in der Tat absichtlich zertrümmert worden. Aber warum? Und wer könnte ..." Er hielt inne und griff sich an die Stirn. „Natürlich!"
„Was ist natürlich? Wissen Sie, wer es getan hat?"
„Nun, ich habe zumindest eine Vermutung. Ihr ehemaliger Verlobter!"
„Darius?" Verständnislos starrte Jessica Cleybourne an. „Warum, um alles in der Welt, sollte Darius mein Schmuckkästchen wegnehmen und es zerschlagen?"
„Weil es Ihnen gehört. Weil es Ihnen etwas bedeutet. Das war doch keine vernünftige Tat. Ein Dieb hätte den Schmuck eingesteckt und das Kästchen liegen lassen oder auch mitgenommen, um es zu verkaufen. Aber den Inhalt liegen lassen und das Kästchen zerschlagen - das verrät großen Groll auf den Besitzer. Er hatte vergeblich versucht, Ihr Interesse für ihn wieder zu wecken, und das hat ihn in Wut versetzt. Er fühlte sich gedemütigt, und als ich mich eingemischt habe, hat das die Sache nur noch schlimmer gemacht. Nun wollte er es Ihnen irgendwie heimzahlen. Offen konnte er es nicht wegen der Folgen, die er befürchten musste. Aber das hier - so insgeheim - damit konnte er Ihnen wehtun, ohne dass jemand etwas davon erfahren würde."
Jessica runzelte die Stirn und blickte wieder auf die Holzstückchen. „Das klingt irgendwie einleuchtend. Es ist nur ... ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm wirklich so viel an mir gelegen ist, selbst in negativer Hinsicht. Unsere Verlobung liegt schon lange zurück, und er war es, der sie aufgelöst hat, nicht ich. Es ist schwierig für mich zu glauben, dass er mich die ganze Zeit über geliebt hat oder dass seine Liebe wieder hervorbrach, als er mich gesehen hat. Sicherlich war es ihm nicht angenehm, dass ich ihn abgewiesen habe, und noch viel weniger dürfte es ihm gefallen haben, vor Ihren Augen gedemütigt zu werden. Aber ..." Sie zuckte mit den Schultern. „Nun ja, es sieht tatsächlich nach einem Wutanfall aus, der sich unmittelbar gegen mich gerichtet hat. Und er ist ja der Einzige hier, der mich näher kennt, außer Ihnen natürlich, aber Sie sind wohl kaum der Mensch, der Schmuckkästchen in Stücke schlägt."
Cleybourne lächelte spöttisch. „Ich fühle mich von Ihrem Vertrauen außerordentlich geehrt."
„Dadurch wird Darius natürlich sehr verdächtig."
„Diese rabiate Art ... sie macht einen so wilden und vernunftwidrigen Eindruck, dass ich mich frage, ob derjenige, der das fertig gebracht hat, nicht auch in der Lage war, Mrs. Woods zu töten."
„Darius? Oh, das glaube ich nun keinesfalls."
„Ach, ich weiß auch nicht. Aber die Zerstörung des Kästchens macht den Eindruck, als habe hier einer am Rande des Wahnsinns gestanden. Zumindest weist sie auf einen aufbrausenden Charakter und mangelnde Selbstkontrolle hin, und das wiederum lässt auf einen Menschen schließen, der durchaus auch einen Mord begehen kann - zumindest wenn das Opfer ihm irgendwie in die Quere gekommen ist. Sollte es wirklich Mr. Talbot gewesen sein, dann sind Sie in großer Gefahr."
„Nein, Darius kann es nicht gewesen sein", erwiderte Jessica entschieden. „Das ist unmöglich. Im Übrigen kannte er doch Mrs. Woods überhaupt nicht."
„Woher wollen Sie das wissen? Sie haben doch gar keine Ahnung, was er in den vergangenen zehn Jahren gemacht hat."
„Aber es hat keinerlei Anzeichen dafür gegeben, dass die beiden sich kannten. Außerdem ist Darius kein Mörder. Er hat einen viel zu schwachen Charakter dafür. Er mag sich aufplustern oder auch vor Wut schnauben und ein unschuldiges Kästchen zertrümmern. Doch er hätte nie den Mut, jemanden zu töten."
„Dass jemand einen schwachen Charakter hat, ist noch lange kein Beweis dafür, dass er nicht in der Lage wäre, einen Menschen umzubringen. Vielleicht ist Mord sogar das Ergebnis von Schwäche. Der Mörder wählt damit den leichtesten Weg. Er tötet, weil er nicht die Kraft hat, sich den Dingen zu stellen, wie es ein starker Mann tun würde. Er tötet aus Feigheit und nicht aus
Weitere Kostenlose Bücher