Sturm ueber Cleybourne Castle
Schluchzen aus ihm heraus, dass seine Schultern erbebten.
Mit ihrer ganzen Kraft versuchte Jessica, die Last seiner Schuldvorwürfe von ihm zu nehmen. Sie war sich sicher, dass er mit niemandem zuvor darüber gesprochen, sondern alles in sich verschlossen hatte und von dieser Qual fast aufgezehrt worden war.
„Es ist ja alles gut", murmelte sie immer wieder, während sie über seinen Rücken strich. „Es wird alles gut werden."
Richard hielt seine Tränen nicht zurück, denn zum ersten Mal seit jenem schrecklichen Ereignis weinte er über sich, über das unerträgliche Elend seines Lebens in den vergangenen vier Jahren. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, nun genug gelitten und seine Strafe für die tödlich geendete Jagd auf Frau und Kind abgebüßt zu haben.
„Alana würde nicht wollen, dass Sie sich so quälen", fuhr Jessica fort. „Sie hat Sie von ganzem Herzen geliebt, so wie ein glückliches Kind seinen Vater liebt. Es wäre sehr schmerzlich für sie, wenn sie wüsste, wie Sie leiden. Ich glaube, sie würde sich nur eines wünschen, nämlich dass Sie wieder glücklich wären - ganz gleich, ob sie selbst dabei ist oder nicht."
Noch fester presste Richard sie an seine Brust, und sein Atem ging rau und keuchend. „Oh Gott, Sie haben Recht. Woher wissen Sie ... Sie haben Alana doch gar nicht gekannt. Und doch verstehen Sie das Kind besser als ich."
Mühsam richtete er sich auf und wischte sich die Tränen ab. Lächelnd blickte Jessica zu ihm empor.
„Ich kenne die Gefühle einer Tochter. Ich selbst liebte meinen Vater, obwohl der Skandal unser Leben ruiniert hatte. Manchmal war ich so böse auf ihn, dass ich am liebsten mit den Fäusten auf ihn losgegangen wäre. Ich saß da, allein, von allen meinen Freunden verlassen, ohne Geld und ohne Zukunft, und er ging jeden Abend aus, um zu trinken und zu spielen. Trotz meiner Bitten sagte er mir nicht, was eigentlich geschehen war. Es gab Zeiten, da war ich nahe daran, ihn zu hassen.
Aber als er dann starb, dachte ich, ich würde umkommen vor Kummer. Ich bereute jedes böse Wort und jeden hässlichen Gedanken. Er war doch schließlich mein Vater, und ich liebte ihn. Bis heute kann ich nicht glauben, dass er etwas Unrechtes getan hat. Ich würde alles aufs Neue ertragen, wenn ich nur diese letzten Monate ändern und ihn wieder lebendig und glücklich machen könnte. Jetzt weiß ich nämlich, dass einzig meine Liebe zu ihm zählt. Und ich hoffe inständig, dass es ihm, wo immer er auch sein mag, gut gehen möge. Deshalb weiß ich, was sich Ihre Tochter für Sie wünschen würde - weil ich mir dasselbe für meinen Vater wünsche."
Richard atmete tief ein und strich dann sacht mit den Fingerspitzen über Jessicas Wangen. „Alana hätte Sie geliebt", sagte er leise.
„Und ich glaube, dass ich sie auch geliebt hätte."
„Da bin ich sicher", bestätigte er lächelnd. „Sie war Ihnen irgendwie ähnlich -furchtlos, ehrlich und ... geradezu. Und sie hatte ein sehr zärtliches Herz."
„Darin ähnelt sie auch ihrem Vater." Jessica stellte sich auf die Zehenspitzen und berührte mit den Lippen zart seinen Mund. „Sie sind ein guter Mensch. Zerstören Sie sich nicht selbst durch Kummer und Selbstanklagen."
Wortlos starrte Richard sie einen Augenblick lang an. Dann sagte er mit heiserer Stimme nur ein einziges Wort. „Danke." Mit ein wenig zitternden Lippen erwiderte er ihren leichten Kuss und presste anschließend seinen Mund auf ihre Stirn. „Sie scheinen es sich zur Gewohnheit zu machen, mich zu erretten", murmelte er, „ob ich es will oder nicht."
Lächelnd schüttelte Jessica den Kopf. „Ich glaube nicht, dass Sie die Pistole benutzt hätten - auch wenn ich nicht dazugekommen wäre. Sie hätten es selbst dann nicht getan, wenn Gabriela und ich überhaupt nie hier eingetroffen wären. Sie haben dafür zu viel Kraft und Lebensmut."
„Da bin ich mir nicht ganz so sicher wie Sie."
Jessica hob die Schultern. „Das liegt daran, dass Sie nicht das ganze Bild von sich sehen, so wie ich."
„Ich fürchte, dass es kein besonders hübsches Bild ist", erwiderte Richard mit leichtem Spott.
„Hübsch vielleicht nicht." Jessicas Stimme war warm, und in ihren Worten lag ein Hauch von Koketterie. „Aber nichtsdestoweniger ganz anziehend."
„Wirklich?" Richard ließ seinen Blick zu ihren Lippen wandern. „Ich wette, nicht halb so anziehend wie das Bild, das Sie abgeben."
„Schmeichelei ...", begann Jessica. Doch sie kam nicht mehr weiter, denn die nächsten
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