Sturm ueber Cleybourne Castle
irgendetwas sagen und dann den Raum wieder verlassen musste. Die Angelegenheit war erledigt. „Ja, gewiss, Euer Gnaden", murmelte sie mit tonloser Stimme. „Ich danke Ihnen."
Sie zwang sich, den Blick zu heben und den Duke anzusehen. Seine Miene war ausdruckslos. Wahrscheinlich hatte sie die passenden Worte gefunden - oder zumindest nicht die falschen gewählt. Doch das war ihr im Augenblick nicht mehr wichtig. Sie wollte nur weg und die nächsten Stunden ganz allein sein. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden ... "
„Selbstverständlich."
Jessica wandte sich um und ging mit langsamen und gleichmäßigen Schritten zur Tür, während sie sich die Fingernägel in die Handballen presste. Ihr Stolz ließ es nicht zu, wie ein aufgescheuchtes Kaninchen davonzurennen, obwohl sie es am liebsten getan hätte.
Cleybourne blickte ihr nach und fragte sich vergebens, warum er sich elender fühlte als zuvor, da er doch nur seine Pflicht getan hatte.
Für das Abendessen ließ sich Jessica mit Kopfschmerzen entschuldigen. Ihr bleiches Gesicht und die dunklen Schatten unter den Augen überzeugten Lady Westhampton, die ihr einen besorgten Besuch abstattete, von ihrem Unwohlsein.
Sie bestand darauf, dass Jessica sich sofort hinlegte und ausruhte, da die Aufregungen der vergangenen Nacht offensichtlich Spuren hinterlassen hatten. Richard jedoch war überzeugt, dass der Grund für Jessicas Fernbleiben in seinem unverzeihlichen Benehmen zu suchen sein musste. Er hatte zwar gehofft, dass seine Entschuldigung die Dinge wieder ins rechte Lot gerückt hätte. Doch anscheinend hatte er mit diesem steifen und etwas peinlichen Gespräch alles nur noch schlimmer gemacht.
Seine Handlungsweise war nicht nur der eines Gentleman unangemessen, sondern verstieß auch gegen seine innersten Prinzipien. Er hatte die Situation skrupellos ausgenutzt und versucht, eine unschuldige junge Frau zu verführen, ja, beinahe zu vergewaltigen, und nun wusste er nicht, ob ihm diese Tatsache nicht noch mehr Gewissensqualen verursachte als sein plötzliches Verlangen nach einer anderen Frau als der toten Caroline.
Die halbe Nacht hatte er wach gelegen, und je mehr er über alles nachgedacht hatte, desto schlimmer war es ihm erschienen, sodass er sich am anderen Morgen so unwürdig gefühlt hatte, dass er unfähig gewesen war, Miss Maitland bei seiner gestammelten Entschuldigung anzublicken. Sie war so unerwartet gefasst gewesen. Es hätte ihn nicht überrascht, wenn sie vor Ärger handgreiflich geworden wäre und ihm sehr deutlich gesagt hätte, was sie von seinen Zudringlichkeiten hielt. Aber sie hatte nur die Augen niedergeschlagen und sehr ruhig und besonnen gesprochen.
Das war ein untrügliches Zeichen dafür gewesen, dass er sie zutiefst verletzt hatte. Wahrscheinlich war sie in ihrer untergeordneten Stellung als Gouvernante schon mehrfach Opfer von Übergriffen verantwortungsloser Männer gewesen und nun überzeugt, dass auch er zu dieser Sorte zählte. Der Gedanke verursachte ihm fast körperliche Übelkeit.
Leona war bei Tisch natürlich so lästig wie immer. Sie lächelte ständig etwas einfältig, was sie jedoch für schelmisch hielt, und griff sich immer wieder an den Hals oder an die Brust, um Richards Aufmerksamkeit auf ihren vollen Busen zu lenken. Es war ein Wunder, dass sie sich in ihrem hauchdünnen Kleid noch nicht den Tod geholt hatte.
Nachdem die Tafel aufgehoben worden war, zog sich der Hausherr in sein Arbeitszimmer zurück. Er merkte jedoch bald, dass er es heute nicht ertragen konnte, mit seinen Gedanken allein zu sein. Deshalb ging er in die Halle, lief dort ziellos hin und her und blieb schließlich an einem der hohen Fenster stehen, schob die Vorhänge zur Seite und starrte in die Nacht hinaus. Der Himmel war wolkenverhangen. Weder Mond noch Sterne waren zu erblicken, und durch die unverhüllten Scheiben drang bittere Kälte. Es fiel ihm ein, dass Baxter ihm berichtet hatte, der Gärtner erwarte mit Sicherheit Schnee. Er könne ihn direkt riechen. Richard zweifelte zwar daran, dass die Nase des Alten Schnee wittern konnte. Aber nichtsdestoweniger waren Calhouns Wettervoraussagen bisher immer eingetroffen. Seine Knochen kündigten ihm Regen an, das Pflanzen und Säen nahm er nach den Phasen des Mondes vor, und der Garten gedieh auf diese Weise unter seinen Händen ganz prächtig.
Mit einem leisen Seufzer zog Cleybourne die schweren Samtvorhänge wieder zu und stieg die breite Treppe zum Obergeschoss hinauf. Er war zwar
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