Sturm ueber Cleybourne Castle
umarmte Lady Westhampton impulsiv, was dieser durchaus zu gefallen schien.
Noch einmal rückte sie ihren Hut zurecht, zog sich die Handschuhe über und ließ sich dann von Baxter den schweren Wollmantel umlegen. Ihre Zofe hielt ihr den Muff aus Marderfell hin, Richard reichte ihr den Arm, und dann machte sich die kleine Schar auf den Weg in den Schlosshof. Der Duke half seiner Schwägerin in den Wagen, und Jessica und Gabriela trotzten der Kälte und winkten der entschwindenden Kutsche nach, bis diese hinter einem Vorhang von Schneeflocken verschwunden war.
Während die beiden ins Haus zurückgingen, wurde ein weiterer Wagen vorgefahren. Es war die Chaise von Lord und Lady Vesey. Offensichtlich hatte Lady Westhampton richtig gehört. Jessicas Stimmung hob sich bei dem Gedanken, dass der Duke auf ihrer Abreise bestanden haben musste, denn von selbst wären die beiden sicherlich nicht dazu bereit gewesen.
In der Halle trat Cleybourne auf Jessica zu. „Ich möchte mit Ihnen reden, Miss Maitland."
„Ich bedaure außerordentlich, Euer Gnaden", erwiderte Jessica kalt, „aber Gabriela hat jetzt Unterricht."
Ärgerlich biss sich der Duke auf die Lippe, sagte jedoch nur: „Und wie lange dauert dieser Unterricht?"
Jessica blieb eine Antwort erspart, denn genau in diesem Augenblick kamen die Veseys die Treppe herab. „Da haben Sie es, Cleybourne", rief Leona schon von weitem und wies theatralisch auf die Eingangstür. „Ich kann einfach nicht glauben, dass Sie so grausam sind, uns bei diesem Wetter hinauszujagen. Wenn wir nun erfrieren?"
„Das ist nicht anzunehmen", erwiderte der Duke kurz.
„Also wirklich, Cleybourne", mischte sich nun auch Lord Vesey ein, „es ist ganz scheußlich draußen. Überhaupt kein Reisewetter."
Cleybourne zuckte mit den Schultern. „Später wird es noch schlechter werden. Deshalb müssen Sie sofort aufbrechen. Ich möchte nicht, dass Sie tagelang hier eingeschneit werden."
„Ich kann einfach nicht glauben, dass Sie so ein Ungeheuer sind." Leona verstand es, einen ganz entzückenden Schmollmund zu machen.
„Warum denn nicht? Schließlich bin ich ja nie besonders freundlich zu Ihnen gewesen. Nicht so freundlich, wie sie hofften" Der Duke winkte einen Lakaien herbei. „Duncan, Lord und Lady Vesey wünschen ihre Mäntel."
Der Diener schien nur auf diesen Befehl gewartet zu haben, denn er hatte Leonas hellgrauen Wintermantel bereits auf dem Arm und half nun umsichtig beim Anziehen. Lady Vesey warf dem Hausherrn einen ärgerlichen Blick zu. Sie war es nicht gewöhnt, dass Männer ihre Gunst zurückwiesen, und schon gar nicht, dass sie wie eine lästige Verwandte vor die Tür gesetzt wurde.
„Sie sind ein Narr, Cleybourne", zischte sie im Vorübergehen und streifte wütend ihre Handschuhe über. „Diesen Tag werden Sie ein Leben lang bedauern."
„Ich bedaure ihn bereits", entgegnete er knapp. Mit einer unmissverständlichen Geste forderte er die Veseys auf, zur Tür zu gehen.
Jessica benutzte diese Gelegenheit, um aus Cleybournes Nähe zu flüchten. Sie nahm Gabriela bei der Hand und zog sie die Treppe empor.
„Aber ich will doch sehen, wie sie abfahren", protestierte ihr Zögling.
„Das kannst du auch oben aus deinem Fenster. Es geht ja zum Schlosshof hinaus."
Die beiden eilten Hand in Hand zum Kinderzimmer und stellten sich dort an eines der großen Fenster. Durch einen immer dichter werdenden Vorhang von Schneeflocken konnten sie beobachten, wie Lord und Lady Vesey die Kutsche bestiegen. Leona warf Cleybourne, der an der Eingangstür stehen geblieben war, noch einen ärgerlichen Blick zu. Dann schloss der Diener die Tür, und der Wagen rollte die breite Einfahrt hinab.
Als er im Schneetreiben verschwunden war, ließ Gaby sich widerspruchslos ins Schulzimmer führen. Jessica hatte für heute einen umfangreichen Stundenplan aufgestellt, denn sie hoffte, dass sie in dieser Zeit ihre Fassung wiedererlangen würde. Sie wusste, dass sie einem Gespräch mit dem Duke auf die Dauer nicht aus dem Wege gehen konnte, und sie wollte dann wenigstens gelassen zuhören können, wenn er ihr vorhielt, dass er sie ausschließlich zu dem Zweck bezahlte, dass sie sich um Gabriela kümmerte, und dass sie kein Recht hatte, sein Verhalten oder gar seine Beziehungen zu irgendeiner Frau infrage zu stellen. All dies hatte sie sich, weiß Gott, in der vergangenen Nacht selbst schon hundert Mal gesagt.
Der Vormittag zog sich während des Unterrichts in Geographie, Französisch und Geschichte
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