Sturm ueber Cleybourne Castle
schüttelte nur ärgerlich den Kopf und wandte sich um. In diesem Augenblick kam Jessica jedoch ein beängstigender Gedanke. „Großer Gott! Euer Gnaden!" rief sie aufgeregt.
„Was ist?" Der Duke drehte sich um und bemerkte den Ausdruck von Sorge auf ihrem Gesicht. „Was gibt es? Reden Sie doch!"
„Wo ist Lady Westhampton?" sagte Jessica mit wachsender Beunruhigung. „Der Weg nach Norden müsste doch auch unpassierbar sein."
„Das ist in der Tat möglich", erwiderte Cleybourne bedrückt. „Aber warum ist sie dann nicht ebenfalls umgekehrt?"
„Wenn ihr Wagen nun auch in den Straßengraben gerutscht ist wie jene Kutsche, die Lord Vesey gesehen hat? Oder ein Rad ist gebrochen? Vielleicht liegt sie irgendwo in der Kälte fest!"
„Ich werde sie finden. Duncan! Baxter!"
Ein Lakai kam herbeigeeilt. „Euer Gnaden wünschen?"
„Schick einen Burschen zu den Ställen. Mein Pferd soll sofort gesattelt werden. Und ein Reitknecht soll sich ebenfalls bereitmachen. Ich werde Hilfe benötigen. Ich ziehe nur meine Reitstiefel an und bin gleich wieder zurück." Zu Jessica gewandt fügte Cleybourne hinzu: „Würden Sie wohl..."
„Selbstverständlich werde ich mich um alles kümmern. Das Zimmer Ihrer Schwägerin wird geheizt, das Bett angewärmt. Sie können sich darauf verlassen."
Der Duke nickte kurz und eilte davon.
Während Jessica ihm noch nachblickte, zupfte Gabriela sie am Ärmel. „Glauben Sie wirklich, dass Lady Westhampton in Gefahr ist?"
„Vielleicht ist ihr Wagen tatsächlich vom Wege abgekommen. Aber das wird ihr keinen Schaden zugefügt haben, denn bei diesem Wetter ist der Kutscher sicher nur im Schritttempo gefahren. Außerdem ist sie warm angezogen und hat auch noch eine Pelzdecke bei sich, sodass sie nicht zu sehr frieren muss, bis der Duke sie findet."
Jessica begleitete ihre Worte mit einem aufmunternden Lächeln, obwohl ihr nicht ganz so wohl zu Mute war, wie sie dem Kinde gegenüber vorgab. Wenn der Straßenzustand tatsächlich so schlecht war, wie Lord Vesey behauptet hatte - und in diesem Fall musste man ihm wohl Glauben schenken - dann gab es mancherlei Möglichkeiten für einen Unfall, oder sie blieben hoffnungslos im Schnee stecken.
Und nach Sonnenuntergang würden auch warme Kleidung und eine Decke nicht mehr ausreichenden Schutz geben. Es blieb also nur zu hoffen, dass der Wagen noch keine allzu große Strecke zurückgelegt hatte, bis er nicht mehr weiterkam, und der Duke demzufolge seine Schwägerin möglichst bald finden würde. Der Gedanke an einen durch winterliches Wetter hervorgerufenen Unglücksfall musste bei seiner Suche schwer auf ihm lasten und die Erinnerung an-die Tragödie in seiner eigenen Familie wieder schmerzhaft lebendig werden lassen.
Aber Jessica sorgte sich auch um Cleybourne. Dass er sich zu Pferd auf den Weg gemacht hatte, war vernünftig, denn dadurch wurde er beweglicher und schneller. Aber zugleich war er im Sattel den Elementen schutzlos ausgesetzt. Und wie schnell konnte das Tier über ein unsichtbares Hindernis stolpern, zu Fall kommen oder in ein Loch geraten, wie Gaby es gerade erst beschrieben hatte. Dann müsste er zu Fuß weitergehen, und das bei diesem Wetter! Zum Glück hatte er wenigstens einen Reitknecht bei sich.
Mit diesen Gedanken begab sie sich in die Küche, um die Haushälterin von den veränderten Umständen in Kenntnis zu setzen und sie zu bitten, für ein warmes Bett und heißen Tee für Lady Westhampton Sorge zu tragen. Dann tat sie noch ihr Möglichstes, um die Aufregung der Dienerschaft über die Rückkehr der verhassten Lady Vesey zu dämpfen, und kehrte schließlich in die Halle zurück, wo Baxter bleich und bekümmert aus dem Fenster starrte.
„Es ist ganz schrecklich, Miss", sagte er kopfschüttelnd, nachdem er sie erblickt hatte. „Als Seine Gnaden losritten, sah er aus, als sitze ihm der Tod auf den Schultern. Ich weiß, dass er an die Duchess und an die Kleine denkt. Ich tue das ja auch. In zwei Tagen ist ihr Todestag. Und das jetzt ist alles genauso wie damals."
„Aber es ist dennoch nicht dasselbe", versuchte Jessica ihn zu beruhigen. „Es muss doch nicht unbedingt wieder etwas passieren, und Sie müssen jetzt stark sein. Er wird Sie brauchen, wenn er zurückkommt. Sie halten doch hier im Hause alles in Gang."
„Ich danke Ihnen, Miss. Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen. Sie ..."
In diesem Augenblick wurde so laut und überraschend an die Eingangstür geklopft, dass die beiden zusammenfuhren. Gefolgt von
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