Sturm ueber Cleybourne Castle
der Duke an, „und gehe dann hinein. Sieh nach, ob irgendjemand Kleidung trägt, die feucht vom Schnee ist, oder ob irgendwo solche Sachen herumliegen."
„Gewiss, Euer Gnaden, sofort", beeilte sich der junge Mann zu erwidern, fügte dann aber mit besorgter Miene hinzu: „Das wird aber nicht jedem gefallen."
„Ich weiß. Entschuldige dich also höflich und sage, dass es leider unumgänglich ist. Erkläre ihnen, dass ein Fremder ins Haus eingedrungen ist und dass ich befohlen habe nachzusehen, ob er sich in irgendeinem Zimmer versteckt hat."
Miss Pargety, die offensichtlich einen nächtlichen Gang hatte machen müssen, stand auf dem oberen Treppenabsatz und schrie nun entsetzt auf. „Ein Eindringling im Haus!" Angstvoll blickte sie um sich, so als würde jeden Augenblick ein Bandit auf sie zustürzen.
„Beruhigen Sie sich, Miss Pargety", sagte der Duke mit bemühter Freundlichkeit. „Wahrscheinlich ist der Mann schon nicht mehr in der Nähe. Ich muss aber trotzdem sichergehen."
Jetzt erschien auch Gabriela mit einem wollenen Schal über dem Nachthemd. „Was ist los?" rief sie schon von weitem aufgeregt. „War es wieder derselbe Mann?" „Gehe schnell wieder in dein Bett, Gaby", erwiderte Jessica. „Ich komme nachher noch einmal zu dir."
Da Cleybourne jetzt offensichtlich wieder in der Lage war, sich allein zu behelfen, nahm sie Gabriela bei der Hand und ergriff auch Miss Pargetys immer noch zitternden Arm und zog die beiden freundlich, aber bestimmt zu ihren Zimmern.
Mrs. Woods war inzwischen ebenfalls auf den Flur hinausgetreten. Ihr hübsches Gesicht war blass, aber ausdruckslos.
Offensichtlich konnte ein nächtlicher Eindringling sie nicht aus der Ruhe bringen. Auch Mr. Cobb machte keinen aufgeregten Eindruck. Die blutverkrustete Wunde auf der Stirn des Duke schien etwas Alltägliches für ihn zu sein. Oder war er deshalb nicht sonderlich überrascht, weil er selbst der Mann mit dem schwarzen Schal war? Im Vorübergehen fragte sich Jessica, ob er wohl die Möglichkeit gehabt haben konnte, sich durch die Hintertür ins Haus und in sein Zimmer zu schleichen. Seine Hosen waren aber vollkommen trocken. Wenn er mit dem Duke im Schnee gekämpft hatte, mussten sie jedoch durchweicht sein. Hätte er sich dann auch noch so schnell umziehen und zur Treppe kommen können?
Sie streifte ihn mit einem zweifelnden Blick und bemerkte dabei, dass er sie beobachtete. Rasch wandte sie sich deshalb Gabriela zu und versuchte, ihre zahllosen Fragen zu dem nächtlichen Abenteuer zu beantworten, während Miss Pargety immer noch unter der Vorstellung litt, dass sich irgendwo ein Räuber oder gar ein Mörder versteckt haben könnte. So blieb Jessica nichts anderes übrig, als die ängstliche alte Jungfer in ihr Zimmer zu begleiten und zu ihrer Beruhigung überall nachzusehen, selbst im Schrank und unter dem Bett.
„So, nun können Sie unbesorgt wieder schlafen gehen", sagte sie, nachdem sich einwandfrei herausgestellt hatte, dass kein Unhold im Zimmer verborgen war. „Schließen Sie die Tür hinter mir ab, dann sind Sie in Sicherheit."
Danach musste Gabriela beruhigt werden, was sich als weitaus schwieriger erwies, da dem Mädchen immer wieder neue Fragen einfielen, die Jessica nicht beantworten konnte.
„Ich muss hinuntergehen und mit dem Duke reden", erklärte Jessica schließlich. „Dann werde ich etwas klüger sein."
„Na gut", erwiderte Gabriela ein wenig enttäuscht. „Aber Sie müssen mir versprechen, dass Sie mir morgen alles erzählen."
„Aber gewiss werde ich das tun. Und schließe auch ganz bestimmt die Tür wieder zu. Das musst du mir versprechen."
Jessica wartete im Korridor, bis sie das Knacken des Schlosses hörte. Dann eilte sie in ihr Zimmer und entledigte sich rasch ihrer vom Schnee durchweichten Sachen. Hastig zog sie einen dicken Unterrock, Baumwollstrümpfe und ein warmes Kleid über, immer in der Sorge, Cleybourne könne zu Bett gehen, ohne dass sie Gelegenheit gehabt hätte, mit ihm zu sprechen. Aus diesem Grunde nahm sie sich auch nicht die Zeit, das Haar ordentlich aufzustecken. Sie würde zwar wie eine Wilde aussehen mit den ungebändigten Locken über Schultern und Nacken, doch darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen, denn sie musste unbedingt wissen, was zuvor in dem Arbeitszimmer des Duke passiert war.
Als sie durch den dunklen Gang lief, stellte sie erleichtert fest, dass in seinem Schlafzimmer kein Licht brannte. Demzufolge musste er sich noch irgendwo im Erdgeschoss
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