Sturm ueber Cleybourne Castle
das hätte in der Tat keinen Sinn gehabt. Vielleicht hat er nach etwas sehr Kleinem gesucht. Aber was? Außerdem ist keiner von ihnen jemals zuvor hier gewesen, außer Vesey. Das Ganze ist einfach unerklärlich."
Jessica wusch das Tuch in der Waschschüssel aus und versuchte nun vorsichtig, auch die Verletzung zu reinigen. Cleybourne zuckte zusammen. „Das ist eine Wunde, Miss Maitland, und kein Blutfleck, falls Ihnen das entgangen sein sollte."
„Das ist mir keineswegs entgangen", versetzte sie ärgerlich, fügte dann aber in versöhnlicherem Ton hinzu: „Es tut mir Leid, dass ich Ihnen Schmerzen zugefügt habe."
Spöttisch verzog der Duke den Mund. „Sagen Sie bloß, Sie haben Schuldgefühle." „Das nicht gerade. Aber es ist unabsichtlich geschehen, und deshalb ... nun ja, deshalb bedaure ich es eben."
„Eigentlich sollte ich Sie noch ein bisschen zappeln lassen", erwiderte Cleybourne lachend. „Aber ich nehme Ihre Entschuldigung wohlwollend an. Im Übrigen glaube ich nicht, dass Ihr Schlag mich außer Gefecht gesetzt hätte, wenn ich nicht zuvor schon bei dem Gerangel in meinem Arbeitszimmer wahrscheinlich mit einem Briefbeschwerer verletzt worden wäre."
„Nun, dann ist es ja kein Wunder, dass Sie nach dem Hieb völlig benommen waren." Er blickte schweigend zu ihr auf, und erneut wurde Jessica bewusst, dass sie ihm ganz nahe und zudem allein mit ihm in seinem Schlafzimmer war. Sie stand so dicht bei ihm, dass sie die Wärme seines Körpers spüren konnte, und nur einen Schritt entfernt, auf der anderen Seite, befand sich sein großes, prunkvolles Bett, das den ganzen Raum zu beherrschen schien. Unwillkürlich musste sie an seine erregenden Küsse denken. Aber auch seine Berührung vorhin, als er sich in einer plötzlichen Schwäche an sie gelehnt und den Arm um ihre Schulter geschlungen hatte, war nicht weniger verwirrend gewesen.
Wenn sie sich nur eine Spur tiefer beugen würde, könnten ihre Lippen seinen Mund berühren. Sie wusste noch sehr genau, wie sie schmeckten ... Abrupt drehte sie sich um und betrachtete die verschiedenen Gefäße auf dem Tablett.
„Was ist denn in diesen Dosen?" erkundigte sie sich, nachdem sie sich vor Aufregung hatte räuspern müssen.
Widerstrebend wandte Cleybourne seinen Blick von ihr zu den irdenen Töpfchen. „Ich vermute, irgendwelche Heilsalben. Miss Brown stellt sie selbst aus Kräutern her. Vielleicht aus Kamille oder aus Arnika?" Er hob die Schulter. „Seit meiner Kindheit habe ich mich damit behandeln lassen, ohne nach der Zusammensetzung zu fragen, und ich habe es nie bereuen müssen."
„Dann ist es ja in Ordnung." Jessica nahm eine der Dosen zur Hand und tupfte die klebrige dunkle Salbe auf die Wunde. Dann legte sie vorsichtig eine Mullkompresse darauf und wickelte schließlich noch eine Binde quer über seinen Kopf darüber.
Der Duke warf einen Blick in den Spiegel. „Ich sehe ja aus, als komme ich geradewegs aus dem Krieg", stellte er missvergnügt fest.
„Es ist nicht so einfach, einen Verband am Kopf anzulegen", verteidigte Jessica sich. „Lassen Sie ihn wenigstens über Nacht an."
Dann ging sie zum Waschtisch, wusch sich die Hände und trocknete sie mit übertriebener Sorgfalt ab. Ich müsste jetzt eigentlich gehen, dachte sie. Es gibt überhaupt keinen Grund mehr, noch länger zu bleiben.
„Euer Gnaden ... "
„Ich denke, wir sollten diese Titulierung lassen, nachdem Sie mich freundlicherweise mit einem eisernen Leuchter niedergestreckt haben. Sagen Sie einfach Cleybourne zu mir." Der Duke erhob sich und sah sie an. „Natürlich könnten wir uns auch mit den Vornamen anreden."
Irgendetwas schnürte Jessica die Kehle zu. Sie starrte ihn an und vergaß fast zu atmen. „A...aber das wäre doch nicht schicklich."
„Und Sie sind doch immer so auf Schicklichkeit bedacht." Cleybournes Lächeln war warm und freundlich, und es entzündete tausend Feuer in ihrem Blut. „Wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie mich schon einmal als ,Feigling' und ,Narr' bezeichnet. ,Richard' wäre demgegenüber doch ausgesprochen harmlos."
Er hob die Hand und streichelte ihre Wange. Dann wanderte sein Blick zu ihrem Mund, und seine Augen verdunkelten sich dabei vor Glut. „Jessica", flüsterte er.
Ihre Knie wurden schwach. So ist es also, wenn man vor Verzückung ohnmächtig wird, dachte sie matt ... diese Atemnot, dieses Zittern am ganzen Körper, das Feuer im Magen, das alles in Flammen setzt ... und nur wegen der überwältigenden Nähe eines
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