Sturm über Freistatt
mit vier sparsamen Bewegungen riß sie Siveni den glänzenden Helm vom Kopf und warf ihn, so daß er klirrend die Allee entlangrollte. Dann packte sie Siveni am langen dunklen Haar und schlug ihren Kopf auf die Pflastersteine. Siveni erschlaffte.
Er hatte ihr nie etwas öfter als einmal zeigen müssen …
Gnädige Stille breitete sich auf der Straße aus. Harran setzte sich auf die Steine – mehr schaffte er im Augenblick nicht; die Taten der Nacht forderten ihren Tribut. Und nicht nur die dieser Nacht. Denn Mriga kam auf ihn zu, immer noch humpelnd wie zuvor – doch selbst diesem Hinken haftete jetzt Anmut an. Er wollte sein Gesicht verbergen, aber dazu war er immer noch zu sehr Gott.
»Harran«, sagte sie mit der sanften heiseren Stimme, die er bisher nur hatte grunzen hören.
Und Harran war auch immer noch zu sehr Mensch, als daß er gewußt hätte, was er sagen sollte.
»Ich möchte so bleiben«, erklärte sie. »Ich werde vor dem Morgengrauen mit ihr zurückkehren müssen, wenn die Wandlung erfolgen soll.«
»Aber – sie sollte doch nur zeitweilig sein …«
»Für einen gewöhnlichen Sterblichen, wahrscheinlich. Aber dazu gehöre ich nicht. Für mich wird sie von Dauer sein.« Sie lächelte ihn mit ruhiger Heiterkeit an, die Harran ins Herz schnitt, denn das war genau, was er sich von Siveni erträumt hatte. »Natürlich nur, wenn du damit einverstanden bist …«
»Ich, einverstanden?« Er starrte sie an – sie, die Göttin, denn daran bestand nun kein Zweifel mehr. Von Herzschlag zu Herzschlag wurde sie göttlicher. Und sie anzusehen schmerzte seine Augen, so wie es anfangs bei Siveni der Fall gewesen war. »Wozu in aller Welt brauchst du mein Einverständnis?«
Mriga blickte ihn mit besonnener Freude an. »Du bist mein Liebster«, antwortete sie, »und mein guter Herr.«
»Gut …« Diese Ironie hätte ihm den Magen umgedreht, wäre so etwas in ihrem wachsenden Glanz möglich gewesen. »Ich habe dich benutzt …«
»Du hast mich ernährt«, erwiderte Mriga. »Du hast dich um mich gesorgt. Ich lernte dich lieben. Der Rest spielte damals keine Rolle und tut es auch jetzt nicht. Und wenn ich dich als Sterbliche liebte – warum soll ich dann als Göttin aufhören?«
»Du bist immer noch wahnsinnig!« rief Harran fast verzweifelt.
»Für jene, die die Wahrheit nicht kennen, würde es wahrscheinlich so aussehen«, entgegnete Mriga. »Aber du weißt es besser.«
»Mriga, bitte, hör mir zu! Ich nutzte dich aus, wieder und immer wieder! Ich benutzte eine Göttin …«
Sie streckte die Hand aus, ganz langsam, und berührte sein Gesicht. Dann zog sie sie zurück. »Was das betrifft«, sagte sie, »bin ich allein Richter. Nur ich kann es beurteilen. Wenn du Schlimmes getan hast – hast du dafür auch bezahlt! Würdest du es glauben, wenn ich dir sage, daß du fünf Jahre für das bezahltest, was du während dieser fünf Jahre getan hast? Oder würdest du meine Worte der Verrücktheit einer neuen Göttin zuschreiben?«
»Zeit …«, flüsterte Harran.
»Hat ein Innen und ein Außen«, erklärte Mriga. »Außen ist, wenn man liebt. Innen ist alles andere. Bitte frag mich nicht mehr.« Sie blickte zum allmählich grau werdenden Himmel. »Hilf mir mit der armen Siveni.«
Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, die Göttin aufzusetzen. Sie war in einem beklagenswerten Zustand. Mriga bürstete sie mit um Entschuldigung heischender Miene ab. »Sie hat dir weh getan«, sagte sie. »Wenn ich nicht längst verrückt gewesen wäre, da wäre ich es bestimmt geworden.«
Nach ein paar Minuten der Fürsorge öffneten sich die grauen Augen und blickten Harran und Mriga mit schmerzvoller Bewunderung für sie beide an. Eines der feurigen Augen war nun blau umrandet, und eine Beule wuchs an der Stelle, wo die Göttin auf das Straßenpflaster gestürzt war.
»Der Nachteil der Körperlichkeit«, murmelte Siveni. »Ich möchte nicht behaupten, daß mir das gefällt.« Sie war sehr kleinlaut, als sie zu Mriga aufschaute. » So hat nicht einmal mein Vater mir Vernunft beigebracht. Ich glaube, wir werden gute Freunde sein.«
»Mehr noch«, versicherte ihr Mriga heiter. Harran dachte flüchtig an die Liebe der ›alten‹ Mriga zu scharfen Klingen, an ihre Kraft und ihre geschickten Hände – und ihre grauen Augen. Diese Augen begegneten seinen, und Mriga nickte. »Sie hat einige Eigenschaften an die Zeit verloren. Aber ich habe sie für sie in Verwahrung genommen. Sie bekommt sie von mir zurück – und wird mir ein
Weitere Kostenlose Bücher