Sturm über Freistatt
Schlag der Kristallschwingen streifte ihn, ehe der Vogel des Lichtes verschwand. Dann vertrieb blendendes Leuchten die Dunkelheit. Die Gaststube erbebte, als das Tor zwischen den Dimensionen zuschlug und von dem Einhorn und seinem Gegner nichts mehr zu sehen war.
Zwei Leichen lagen im Schatten einer Mauer, dort, wo die Glibbergasse von der Gerbergasse wegführte. Lythande trat rasch zu ihnen, um zu sehen, wem die bleichen Gesichter gehörten und die Augen, die blicklos in die aufgehende Sonne stierten. Dann kehrte sie zu ihren Begleitern zurück. »Erstochen«, erklärte sie. »Nichts Ungewöhnliches. Ich gehe jetzt heim.« Sie nickte den anderen zu und machte sich auf den Weg zum Basar.
Lalo blieb kurz stehen, rieb sich den tauben Arm und schaute ihr nach. Er hätte sie gern zurückgerufen, aber was sollte er ihr sagen? Der Adept hatte ihm den ganzen Weg vom Wilden Einhorn bis hierher mehr guten Rat erteilt, als er verstehen konnte.
Bis er wieder zu sich gekommen war, hatte Nachtschatten sich längst verzogen, und Cappen Varra, der bei jedem unerwarteten Geräusch mit noch zittrigen Händen nach seinem Amulett griff, hatte sich so rasch wie möglich von ihnen verabschiedet. Nachdem Wedemirs Wunde verbunden war und Lalo sich wieder auf den Beinen halten konnte, spiegelte sich die Sonne bereits auf der Tempelkuppel, und Hakiem spähte durch die offene Schenkentür. Tische und Bänke standen wieder an ihrem alten Platz, und nur der leere Fleck an der Wand und die hier ungewohnt friedliche Atmosphäre hätte einen aufmerksamen Beobachter möglicherweise ahnen lassen, was vorgefallen war. Aber Lalo nahm an, daß der Geschichtenerzähler es herausfinden würde. Irgendwie gelang Hakiem das immer.
Doch wie Lythande ihm erklärt hatte, war es ziemlich unwichtig, was der Rest von Freistatt von ihm hielt – nur vor den Zauberern mußte er sich jetzt hüten. So wie die Art eines Gemäldes den Künstler verriet, verhielt es sich auch bei Magie, und das schwarze Einhorn hatte für jeden, der etwas davon verstand, die Signatur von Lalo getragen.
Auf die eine oder andere Weise werden sie hinter Euch her sein, und Ihr müßt lernen, Eure Gabe richtig anzuwenden …
Diese Worte Lythandes hallten noch in Lalos Ohren.
Er seufzte, und Gilla schob ihren Arm noch ein bißchen mehr unter seinen, um ihn zu stützen. Wedemir, der gegen ihren anderen lehnte, hob den Kopf, und Vater und Sohn wechselten einen verständnisvollen Blick. Sie kannten Gillas Stirnrunzeln und den Zug ihrer Lippen, die harte Worte unterdrückten.
Am Fuß der Treppe hielt Lalo an und sammelte seine Kraft.
»Was ist, o mächtiger Magier, wollt Ihr meine Hilfe oder schafft Ihr es mit eigener Kraft?« spottete Gilla. Im hellen Licht des Morgens bemerkte Lalo zum erstenmal die neuen Sorgenfalten um ihren Mund und die schwarzen Ringe unter den Augen. Und doch war sie so standfest wie der Boden unter seinen Füßen. Ihre Kraft war es, die ihn so weit gebracht hatte.
»Ihr seid meine Kraft, ihr, meine Familie …« Lalos Blick wanderte von Gilla zu Wedemir und begegnete dessen festen Blick, und zum erstenmal erkannte er ihn als Mann und Ebenbürtigen an. »Laßt mich das nie wieder vergessen.«
Gillas Augen glänzten verräterisch. Sie drückte seine Hand. Lalo nickte und machte sich daran, die Treppe hochzusteigen. Aus seinem schweren Atem hörten sie das Wispern weißer Schwingen.
Originaltitel: A Breath of Power
Copyright: © 1984 by Diana L. Paxson
----
(2) Siehe Spiegelbild von Diana Paxton in Geschichten aus der Diebeswelt: Hexennacht , Bastei-Lübbe 20113
(3) Siehe Eine entblößende Kunst von Diana L. Paxton, in Geschichten aus der Diebeswelt: Verrat in Freistatt , Bastei-Lübbe 20101
Hanse Nachtschatten
Rebellen werden nicht in Palästen geboren
Andrew J. Offutt
Setzte man einen Preis für die heruntergekommenste, verruchteste Spelunke in Freistatt aus, würde Fuchs’ Kneipe den Preis zweifellos mit Abstand gewinnen. Sie liegt an der Gabelung von Gerberstraße, Odd Birts Zuflucht und der Nord-Süd-Windung des Schlangenwegs (neben dem Irrwegpark). Das sind ›Straßen‹, über deren Bezeichnung man mit einem Grinsen hinwegsehen sollte, wie es die Bewohner jenes Stadtteils, das aus gutem Grund ›Labyrinth‹ genannt wird, auch tun. Jedenfalls liegt Fuchs’ Kneipe im Labyrinth, diesem lasterhaftesten, schmutzigsten Viertel von Freistatt, ja wahrscheinlich des ganzen Kontinents, vielleicht auch der Welt, aber soweit wollen wir nicht gehen.
Alle
Weitere Kostenlose Bücher