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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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herum. Segelfetzen flatterten im Wind, und auf Schritt und Tritt stolperten fluchende Matrosen über abgerissene Taljen. Die Besatzung glich einer Schar von Gespenstern, mit ihren verhärmten Gesichtern und den vor Entkräftung ungeschickten Bewegungen. Jean fuhrwerkte in der Back herum und stellte die erste warme Mahlzeit seit Menschengedenken zusammen.
    »Tod und Verdammnis«, murmelte Locke. Das Unwetter hatte einen hohen Preis gefordert; zwei Männer waren über Bord gespült worden, vier hatten schwere Verletzungen davongetragen, und es hatte zwei Tote gegeben, einschließlich Caldris.
    Mirlon, der Koch, hatte am Ruder gestanden, als die Bramstenge heruntergekracht war wie der Speer eines zornigen Gottes und seinen Schädel gespalten hatte.
    »Nein, Käpt’n«, widersprach Jabril, der unbemerkt hinter ihn getreten war. »Sie sind nicht verdammt, solange wir alles richtig machen.«
    »Was?« Locke fuhr herum, verstört … bis er begriff, was Jabril meinte. »Ach so, ja, natürlich.«
    »Die Toten, Käpt’n!« Jabril sprach mit ihm wie mit einem Kind. »Die Toten spuken auf den Decks und finden keine Ruhe, bevor wir sie nicht angemessen auf die Reise schicken.«
    »Aye«, bestätigte Locke. »Dann lass es uns tun.«
    Caldris und Mirlon lagen backbord an der Fallreepspforte, eingewickelt in Segeltuch.
    Bleiche, mit geteerten Tauen verschnürte Pakete, die darauf warteten, abgeschickt zu werden. Locke und Jabril knieten neben ihnen nieder.
    »Sprechen Sie die Worte, Ravelle«, flüsterte Jabril. »Das sind Sie ihnen schuldig.
    Schicken Sie ihre Seelen zum Vater Sturmbringer, damit sie Frieden finden.«
    Locke blickte auf die beiden verhüllten Leichname und spürte einen neuen, schmerzhaften Stich im Herzen. Beinahe überwältigt von Müdigkeit und Scham, legte er das Gesicht in die Hände und dachte fieberhaft nach.
    Traditionsgemäß konnten Schiffskapitäne zu Laienpriestern des Iono ernannt werden; dazu war nur ein Minimum an Wissen erforderlich, das sie sich in jedem ordentlichen Tempel des Herrn der Gierigen Wasser aneignen konnten. Auf See durften sie als Vorbeter fungieren, Ehen schließen und sogar die Toten segnen. Locke kannte einige Rituale aus Ionos Tempel, aber er war kein eingesegneter Diener dieses Gottes. Er war ein Priester des Korrupten Wärters, und hier auf See, tausend Meilen weit in Ionos Machtbereich, an Bord eines Schiffs, das bereits verdammt war, weil er vergessen hatte, die Gebote dieses Gottes zu befolgen … Locke hatte nicht die geringste Chance, die Toten Iono zu überantworten, ohne den Vater der Stürme noch mehr zu erzürnen.
    Wenn er ihre Seelen retten wollte, musste er die einzige Macht anrufen, an die er sich zu Recht wenden durfte.
    »Korrupter Wärter, Namenloser Dreizehnter, dein Diener spricht zu dir. Richte deinen gnädigen Blick auf diesen Mann, Caldris bal Comar, Ionos Diener, der geschworen hat, unter der roten Flagge zu fahren und andere Schiffe zu plündern. Er ist ein Dieb, und deshalb solltest du ihm Milde gewähren …«
    »Was ist das denn?«, zischte Jabril und packte Locke beim Arm. Locke stieß ihn zurück.
    »Das ist das Einzige, was ich für ihn tun kann«, erklärte er. »Der einzige ehrliche Segen, den ich diesen Männern mit auf den Weg geben darf, hast du verstanden? Wag es ja nicht noch mal, mich zu unterbrechen!« Er beugte sich wieder über Caldris und berührte mit der Hand seinen eingewickelten Leichnam. »Wir schicken diesen Mann, seinen Leib und seine Seele, in das Reich deines Bruders Iono, des mächtigen Herrschers der Meere.« Locke fand, in solchen Angelegenheiten könne ein bisschen Schmeichelei nicht schaden. »Sei ihm behilflich auf seiner Reise. Trage seine Seele zu der Herrin des Langen Schweigens, von der wir alle gewogen werden. Dieses Gebet sprechen wir mit Hoffnung im Herzen.«
    Locke gab Jabril einen Wink, er möge ihm zur Hand gehen. Der muskulöse Seemann gab kein einziges Wort von sich, als sie zusammen Caldris’ Leiche anhoben und sie durch die Fallreepspforte ins Wasser gleiten ließen. Noch ehe Locke das Aufklatschen hörte, widmete er sich dem zweiten Bündel aus Segeltuch.
    »Korrupter Wärter, Beschützer der Diebe, dein Diener spricht zu dir. Richte deinen gnädigen Blick auf diesen Mann, Mirlon, Ionos Diener, der geschworen hat, unter der Roten Flagge zu fahren und andere Schiffe zu plündern. Er ist ein Dieb, und deshalb solltest du ihm Milde gewähren …«

5
     
     
    Die Meuterei brach am nächsten Morgen los,

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