Sturm ueber roten Wassern
über eine neue Gesellschaftsordnung an Bord diskutieren.«
»Wir sind zweiunddreißig Mann, die kämpfen können, Ravelle! Und ihr sitzt zu zweit in der Kajüte fest, ohne Proviant und ohne Wasser … das Schiff gehört uns! Wie lange wollt ihr da drin bleiben?«
»Hier ist es bequem«, rief Locke. »Wir haben eine Hängematte, einen Tisch, eine schöne Aussicht durch die Heckfenster … und zwischen uns und euch befindet sich eine verdammt stabile Tür …«
»Die wir jederzeit aufbrechen können, und das weißt du.« Jabril senkte die Stimme; ein Knarren auf der Niedergangstreppe verriet Locke, dass er nun direkt hinter der Tür stand. »Du bist gerissen, Ravelle, aber deine ganze Durchtriebenheit nützt dir nichts, wenn die andere Seite zehn Bögen und zwanzig Klingen hat.«
»Ich bin nicht allein in dieser Kabine, Jabril.«
»Aye. Und keiner von uns hat Lust, sich mit Meister Valora anzulegen, das sag ich dir ganz offen; selbst bei einer Übermacht von vier zu eins nicht. Trotzdem habt ihr zwei gegen uns nicht die geringste Chance. Denkt daran, wir haben sämtliche Bögen. Wenn ihr es darauf ankommen lassen wollt, dann sind wir zu allem bereit.«
Locke biss sich auf die Wange und überlegte. »Du hast einen Eid geschworen, Jabril.
Du hast geschworen, deinem Kapitän zu gehorchen. Nachdem ich euch allen die Freiheit zurückgegeben habe.«
»Wir haben alle einen Eid geschworen, und wir haben es ehrlich gemeint. Aber du hast uns getäuscht, denn du bist nicht der Mann, als der du dich ausgibst. Du bist kein Marineoffizier. Caldris war ein echter Seemann, mögen die Götter ihm Frieden schenken, aber ich habe keine Ahnung, wer zur Hölle du in Wirklichkeit bist. Und weil du uns belogen hast, ist der Eid nichtig.«
»Ich verstehe.« Locke dachte kurz nach und fuhr fort: »Ihr hättet also euren Eid nicht gebrochen, wenn ich … äh … der Mann wäre, der ich behauptet habe zu sein?«
»Aye, Ravelle. Dann hätten wir zu unserem verdammten Schwur gestanden.«
»Ich glaube dir«, räumte Locke ein. »Ich glaube dir, dass du kein Eidbrecher bist, Jabril.
Deshalb mache ich dir einen Vorschlag: Jerome und ich sind bereit, diese Kabine friedlich zu verlassen. Wir kommen zu euch an Deck und reden miteinander. Wir hören uns jede einzelne Beschwerde an, die ihr vorbringt. Und wir greifen nicht zu unseren Waffen, wenn du schwörst, dass wir unbehelligt bleiben. Wir verlangen sicheres Geleit aufs Deck und ein aufrichtiges Gespräch. Jeder darf sagen, was er auf dem Herzen hat.«
»Es gibt keine Diskussion, Ravelle. Palavert wird nicht. Die Einzigen, die hier das Sagen haben, sind wir.«
»Nun gut, von mir aus«, entgegnete Locke. »Ihr könnt die Situation handhaben, wie ihr wollt. Versprich uns sicheres Geleit, und wir verlassen sofort die Kajüte.«
Ein paar Sekunden lang spitzte Locke die Ohren und lauschte auf jedes Geräusch hinter der Tür.
Endlich antwortete Jabril: »Kommt raus, aber mit leeren Händen. Und keine hastigen Bewegungen, das gilt besonders für Valora. Wenn ihr euch fügt, schwöre ich bei sämtlichen Göttern, dass ihr unversehrt das Deck erreicht. Dann können wir reden.«
»Gut gemacht«, raunte Jean Locke ins Ohr. »Du hast schon was erreicht.«
»Sicher. Vielleicht dürfen wir jetzt an der frischen Luft sterben anstatt in diesem miefigen Kabuff.« Er überlegte, ob er sich trockene Kleidung anziehen sollte, bevor er an Deck ging, verzichtete dann aber darauf. »Zur Hölle, Jabril!«
»Aye?«
»Wir öffnen die Tür.«
6
Oben an Deck erwartete sie ein strahlend blauer Himmel und gleißendes Sonnenlicht; während der letzten Tage hatte Locke schon fast vergessen, dass es eine solche Welt gab. Staunend nahm er diesen Wandel in sich auf, obwohl Jabril sie unter den finsteren Blicken von dreißig Männern mit gespannten Bögen und gezückten Säbeln mittschiffs führte. Von Kimm zu Kimm sah man Wellen, die weiße Schaumkronen trugen, doch rings um die Kurier wogte nur eine sanfte Dünung, und die warme Brise streifte Lockes Wangen wie ein Willkommenskuss.
»Verdammt will ich sein«, murmelte er. »Wir sind direkt in den Sommer zurückgesegelt.«
»Ist doch klar, dass wir weit nach Süden abgetrieben sind, selbst bei einem solchen Sturm«, meinte Jean. »Wir müssen die Große Trennlinie überquert haben. Breitengrad null.«
Das Schiff war immer noch in Unordnung; überall entdeckte Locke provisorische und unvollständige Reparaturen.
Mazucca stand seelenruhig am Ruder, der
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