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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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»Welches Bein?« »Egal. Mach’s einfach wie dein Freund«, rief die Frau zurück. Locke hob den linken Fuß bis knapp über die Ruderbank und streckte die Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten, was ihm zunehmend schwerer fiel. Jean tat dasselbe, und Locke war sich völlig bewusst, dass sie wie zwei Idioten aussehen mussten.
    »Höher!«, forderte die Frau. »Das reicht nicht. Das kannst du besser!«
    Locke zog sein Knie einen halben Fuß höher und starrte trotzig zu der Frau hinauf.
    Sein rechtes Bein zitterte vor Anstrengung, und das hin und her wippende Boot drohte ihn aus der Balance zu bringen. Er und Jean standen kurz davor, die ohnehin schon peinliche Situation mit einer weiteren Blamage zu krönen.
    »Nicht schlecht!«, krähte die Frau. »Und jetzt lasst sie tanzen!«
    Locke sah die verschwommenen dunklen Umrisse der Pfeile auf sich zuschießen, noch ehe er das leise Schnappen der zurückschnellenden Bogensehnen hörte. Er wich nach rechts aus, als sie mitten in das Boot einschlugen, weil er eine halbe Sekunde zu spät begriff, dass die Matrosen nicht auf ihn und Jean gezielt hatten. Im Nu hatte das Meer ihn verschluckt; er war nicht darauf gefasst gewesen, ins Wasser zu fallen, und traf unglücklich auf. Als er wieder an die Oberfläche kam, rang er nach Luft und prustete heftig, weil ihm das Salzwasser in die Nase gedrungen war.
    Locke hörte, wie Jean einen Schwall Wasser ausspuckte, während er an der anderen Seite des Bootes wieder auftauchte. Die Piraten brüllten buchstäblich vor Lachen und hielten sich die Seiten. Die kleine Frau trat gegen irgendetwas, und durch eine Eingangspforte in der Reling fiel ein Tau.
    »Schwimmt rüber«, befahl sie, »und zieht das Boot mit.«
    Sich an den Dollborden festhaltend und unbeholfen paddelnd, gelang es Locke und Jean, das kleine Boot zum Schiff zu befördern, in dessen Schatten sie eintauchten. Das Ende des Taus trieb im Wasser, und Jean schubste Locke kräftig in diese Richtung, als hätte er Angst, man könne es jederzeit wieder einholen.
    Nass, nackt und kochend vor Wut kletterte Locke an der Bordwand aus fein gemasertem schwarzem Holz hoch. An der Reling packten ihn derbe Pranken und hievten ihn an Bord. Sein Blick fiel auf ein Paar abgewetzte Lederstiefel, und er richtete sich in eine sitzende Position auf.
    »Ich hoffe, ihr habt euch gut amüsiert«, begann er, »denn ich werde gleich …«
    Einer der Stiefel trat gegen seine Brust und drückte ihn auf das Deck zurück. Er biss die Zähne zusammen, blieb liegen und starrte die Trägerin der Stiefel an. Diese Frau war nicht nur klein – sie war auch zierlich, selbst aus der Perspektive eines Menschen, den sie buchstäblich unter dem Absatz hatte. Sie trug eine ausgefranste himmelblaue Tunika unter einer locker sitzenden schwarzen Lederweste, die mehrfach geschlitzt war; diese Schnitte hatten jedoch nichts mit Mode zu tun, sondern zeugten von den vielen Schwerthieben, die sie eingesteckt hatte. Ihr schwarzes, dicht gelocktes Haar war im Nacken zu einem straffen Pferdeschwanz gebunden, und an ihrem Gürtel hing ein kleines Arsenal von Kampfmessern und Säbeln. Schultern und Arme waren mit beeindruckenden Muskeln bepackt, und in Anbetracht dieses offenkundigen Eindrucks von Stärke zog es Locke vor, seinen Groll runterzuschlucken.
    »Was wirst du gleich tun?«
    »Mich auf dem Deck ausruhen und die herrliche Nachmittagssonne genießen.«
    Die Frau lachte; eine Sekunde später wurde Jean über die Seite gezerrt und neben Locke auf die Planken geworfen. Sein schwarzes Haar klebte ihm am Schädel, und aus dem Bart tröpfelte Wasser.
    »Ach du meine Güte«, höhnte die Frau. »Ein großer und ein kleiner. Der Große sieht aus, als könnte er sich ganz gut behaupten. Du musst Meister Valora sein.«
    »Wenn Sie es sagen, Madam, dann stimmt es wohl.«
    »Madam? Madam ist ein Wort, das man an Land benutzt. Hier draußen werde ich von deinesgleichen mit Leutnant angesprochen.«
    »Dann sind Sie nicht der Kapitän dieses Schiffs?«
    Die Frau nahm ihren Stiefel von Lockes Brust und erlaubte ihm, sich hinzusetzen.
    »Nein, nicht im Entferntesten«, entgegnete sie.
    »Ezri ist mein Erster Maat«, sagte jemand hinter Locke. Ganz langsam drehte er sich um.
    Er sah eine Frau, die größer war als die namens Ezri und breitere Schultern hatte. Ihre Haut war dunkel, nur wenige Nuancen heller als der Rumpf ihres Schiffs, und sie war atemberaubend schön, wenn auch nicht mehr jung. Die Falten um ihre Augen und ihren Mund

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