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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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kein Licht hindurchsickerte) wurde angehoben. Ein matter Lichtschein drang in die Schwärze, und Locke blinzelte.
    »Kaum hat man sich hingelegt, wird man gestört«, brummte er.
    »Frachtinspektion«, rief eine bekannte Stimme von oben. »Wir suchen nach allem, was nicht in die Last gehört. So was wie euch zum Beispiel.«
    Jean krabbelte zu dem Viereck aus bleichem Licht und blickte hoch. »Leutnant Ezri?«
    »Delmastro«, erwiderte sie. »Ezri Delmastro, also Leutnant Delmastro.«
    »Verzeihung. Leutnant Delmastro.«
    »So ist es richtig. Wie gefällt euch eure Kabine?«
    »Der Gestank könnte schlimmer sein«, bemerkte Locke, »aber wenn ich erst ein paar Tage lang auf alles gepisst habe, was hier so rumliegt, lässt es sich aushalten.«
    »Wenn uns der Proviant ausgeht und du dann noch lebst«, erwiderte Delmastro, »wirst du Sachen trinken, gegen die sich dieser Gestank wie lieblicher Rosenduft ausnimmt. Normalerweise lass ich eine Leiter runter, aber bis zur Luke sind es nur drei Fuß. Ich denke, das schafft ihr. Kommt langsam nach oben; Käpt’n Drakasha brennt plötzlich darauf, ein Wörtchen mit euch zu reden.«
    »Schließt diese Einladung auch ein Abendessen ein?«
    »Du kannst froh sein, dass ein paar Klamotten inbegriffen sind, Ravelle. Klettert hoch.
    Der kleinste zuerst.«
    Locke kroch an Jean vorbei und stemmte sich durch die Luke auf das Orlopdeck, wo die Luft nicht ganz so stickig war wie in der Last. Leutnant Delmastro wartete dort, begleitet von acht Besatzungsmitgliedern, alle bewaffnet und gepanzert. Als Locke sich im Gang hinstellte, wurde er von hinten von einer stämmigen Frau gepackt. Einen Moment später half man Jean nach oben, und drei Seeleute nahmen sich seiner an.
    »Na also.« Delmastro griff nach Jeans Handgelenken und versah sie mit Handfesseln aus geschwärztem Stahl. Dann kam Locke an die Reihe; sie legte ihm die kalten Fesseln an und ließ sie unsanft zuschnappen. Locke unterzog die Handschellen einer raschen, professionellen Prüfung. Sie waren geölt und frei von Rost; dabei saßen sie so eng, dass er sie unmöglich abstreifen konnte, selbst wenn er die Zeit gehabt hätte, ein paar schmerzhafte Verrenkungen seiner Daumen vorzunehmen.
    »Der Käpt’n hatte endlich die Gelegenheit, sich ausführlich mit ein paar Mitgliedern eurer alten Crew zu unterhalten«, erklärte Delmastro. »Sie ist verdammt neugierig, möchte ich meinen.«
    »Ah, das trifft sich gut«, schnurrte Locke. »Ich bekomme wieder mal die Gelegenheit, über mich zu sprechen. Ich liebe es, mich selbst zum Gesprächsthema zu machen.«
    Ihre misstrauischen Bewacher scheuchten sie weiter, und bald standen sie im letzten schwachen Licht der Abenddämmerung an Deck. Gerade ging die Sonne am westlichen Horizont unter, ein blutrotes Auge, das träge hinter Lidern aus mattroten Wolken verschwand. Dankbar sog Locke die frische Luft ein, und abermals beeindruckte ihn die Stärke der Besatzung dieses Schiffs. Die Giftorchidee war gerammelt voll mit Seeleuten, Männern wie Frauen, die sich im Schein von alchemischen Laternen sowohl unter als auch auf Deck emsig zu schaffen machten. Sie gelangten in die Kühl. Direkt vor dem Großmast stand ein dunkler Kasten, in dem etwas flatterte und gluckende Geräusche ausstieß. Ein Hühnerstall – mindestens ein Vogel pickte aufgeregt mit dem Schnabel gegen das Käfiggitter. »Ich kann dich gut verstehen«, flüsterte Locke.
    Die Matrosen der Orchidee bugsierten ihn ein paar Schritte vor Jean zum Heck. Auf dem Achterdeck, gleich über dem Niedergang, der zu den Kajüten führte, gab Delmastro einer Gruppe von Seeleuten ein Zeichen, und sie hielten Jean abermals fest. »Die Einladung gilt nur für Ravelle«, erklärte sie. »Meister Valora kann hier oben warten, bis wir wissen, wie es weitergehen soll.« »Ah«, entfuhr es Locke. »Ist dir das recht, Jerome?«
    »›Kalte Mauern machen kein Gefängnis‹«, zitierte Jean lächelnd, »›und eiserne Fesseln keinen Gefangenen.‹«
    Leutnant Delmastro musterte ihn mit einem eigentümlichen Blick, und nach ein paar Sekunden fiel sie ein: »›Kühne Worte aus dem Munde eines Mannes in Ketten gleichen glühenden Funken – sie vermögen einen Brand zu entfesseln, den nur die Gerechtigkeit zu löschen vermag.‹«
    »Sie haben Die Zehn Ehrlichen Wendehälse gelesen!«, staunte Jean. »S o wie du. Sehr interessant. Und … völlig unzutreffend.« Sie schubste Locke leicht in Richtung des Niedergangs. »Du bleibst hier, Valora. Wenn du es

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