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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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auf, schob sich ein Stück seitwärts und zwängte sich in das Heck, wobei er sich mit dem Rücken am Schandeck abstützte. »Ein bisschen eng, aber die Ausstattung ist überaus luxuriös.«
    »Das freut mich«, meinte Locke und deutete auf die Bootsmitte. »Hoffentlich wird es nicht noch beengter, wenn ich an dieser Stelle erst den hängenden Garten und die Bibliothek einrichte.«
    »Das habe ich bereits berücksichtigt.« Jean legte den Kopf nach hinten und schloss die Augen. »Der hängende Garten kann über meinem Badehaus angebracht werden.«
    »Das gleichzeitig als Tempel dienen könnte«, überlegte Locke.
    »Glaubst du, wir hätten einen nötig?«
    »Allerdings. Ich wage vorherzusagen, dass wir zwei demnächst verflucht viel beten werden.«
    Viele Minuten lang trieben sie schweigend auf dem Wasser. Auch Locke hielt die Augen geschlossen, atmete tief die salzige Luft ein und lauschte dem schwachen Flüstern der Wellen. Die Sonne schien warm und angenehm auf seinen Kopf, und all das trug dazu bei, ihn in eine Art Halbschlaf zu versetzen. Während er vor sich hin döste, ging er in sich und suchte nach einer Spur von Angst und Verzweiflung, doch er fühlte sich lediglich leer und betäubt; es war beinahe so, als sei er erleichtert, jetzt, da all seine Pläne endgültig zunichtegemacht worden waren. Es war niemand mehr da, den er betrügen konnte, er brauchte keine Geheimnisse zu hüten, auf ihn und Jean warteten keinerlei Pflichten. Sie konnten nichts tun, außer sich von den Wellen tragen zu lassen und darauf zu warten, dass die Götter sich ihrer annahmen.
    Er wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, als Jeans Stimme ihn in die Gegenwart zurückriss; er öffnete die Augen und blinzelte im Glast des sich auf dem Wasser spiegelnden Sonnenlichts.
    »Locke«, rief Jean, offenbar zum wiederholten Male, »Segel ahoi, drei Strich backbord voraus!«
    »Ha, ha, Jean. Das ist die Kurier, die für immer von uns segelt. Schon vergessen?« »Oh nein«, beharrte Jean. »Fremdes Schiff ahoi, drei Strich backbord voraus!« Zwinkernd spähte Locke über die Schulter. Die Roter Kurier war immer noch deutlich zu sehen, ungefähr eine Dreiviertelmeile entfernt. Und dort, links von seinem ehemaligen Schiff, anfangs nur schwer auszumachen bei der schimmernden Verschmelzung von Himmel und See – jawohl, ein verschwommenes weißes Viereck, das gerade am Horizont auftauchte.
    »Verdammt will ich sein!«, staunte Locke. »Sieht ganz so aus, als bekämen unsere Jungs ihre erste Chance auf eine Prise.«
    »Nur schade, dass das Schiff nicht schon gestern aufgekreuzt ist.«
    »Ich wette, ich hätte trotzdem nur Mist gebaut. Aber … kannst du dir vorstellen, wie diese armen Kerle sich mit Enterhaken ihre Beute krallen, mit dem Säbel in der Hand über die Reling springen und brüllen: ›Eure Katzen! Gebt uns all eure Katzen, verflucht noch mal!‹«
    Jean lachte. »Wir haben da was Schönes angerichtet. Wenigstens wird uns ein bisschen Unterhaltung geboten. Bei dem desolaten Zustand, in dem sich die Kurier befindet, wird es nicht einfach sein. Vielleicht kommen sie ja zu uns zurück und betteln uns an, sie zu unterstützen.«
    »Schon möglich, dass sie dich holen werden«, meinte Locke.
    Locke beobachtete, wie das Großsegel der Kurier gesetzt wurde, ein sich bauschendes weißes Viereck. Wenn er sich anstrengte, konnte er gerade noch winzige Gestalten erkennen, die an Deck und in der Takelage hin und her wieselten. Sein ehemaliges Schiff ging mit dem Bug eine Spur nach backbord, sodass der Wind nun raum-achterlich einfiel.
    »Die Kurier lahmt wie ein Pferd mit einem gebrochenen Sprunggelenk«, kommentierte Jean. »Sieh nur, sie trauen sich nicht, am Großmast Vollzeug zu setzen. Kann ich ihnen nicht verübeln.« Jean betrachtete die Szene ein Weilchen länger. »Ich glaube, das fremde Schiff luvt nach Nordnordwest an. Wenn unsere Jungs sich in Richtung Westen pirschen und harmlos genug aussehen, dann könnte es vielleicht klappen. Ansonsten hat das andere Schiff Seeraum genug, um nach Westen oder Süden zu segeln. Wenn es auch nur einigermaßen gut in Schuss ist, hat die Kurier nicht die geringste Chance, es einzuholen.«
    »Jean …«, begann Locke gedehnt; er wusste nicht, ob er seinem eigenen seemännischen Urteil trauen durfte. »Mir scheint … mir scheint, das Schiff will gar nicht fliehen. Schau, es hält genau auf die Kurier zu.«
    Bereits in den nächsten Minuten zeigte sich, dass er recht hatte. Das fremde Schiff

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