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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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mitnehmen.«
    »Wir werden sehen«, entgegnete Locke. »Wir werden sehen. Zuerst tauschen wir Höflichkeiten aus. Machen einen auf Diplomatie.«
    Das Piratenschiff näherte sich ihnen langsam, als die Sonne im Westen unterging und die Farbe des Himmels und des Wassers um eine Schattierung verdunkelte. Das Schiff hatte tatsächlich einen tiefschwarzen Rumpf – Hexenholz – und es war eindeutig größer als die Kurier. Matrosen drängten sich auf den Rahen und an der Reling; Locke verspürte einen Anflug von Neid, als er eine derart große und aktive Mannschaft sah.
    Majestätisch glitt das Schiff durch das Wasser, um auf einen vom Achterdeck aus gebrüllten Befehl hin anzuluven. Präzise und schnell wurden die Segel gerefft; das Schiff kroch nur noch dahin, versperrte ihnen die Sicht auf die Kurier und zeigte ihnen aus einer Entfernung von rund zwanzig Yards die Backbordseite.
    »Boot, ahoi!«, rief eine Frau an der Reling. Locke konnte sehen, dass sie ziemlich klein war – sie hatte schwarze Haare, trug Teile einer Panzerung, und hinter ihr scharten sich mindestens ein Dutzend bewaffneter und sehr neugieriger Matrosen. Locke spürte, wie er unter ihren Blicken eine Gänsehaut bekam, und er setzte eine fröhliche Miene auf.
    »Brigg, ahoi!«, brüllte er zurück. »Schönes Wetter, nicht?«
    »Wer seid ihr zwei?«
    Locke überlegte rasch, wie er sich geben sollte – ob demütig, vorsichtig oder frech – und entschied sich, dass er mit Keckheit am meisten beeindrucken konnte. »Stopp!«, schrie er, sprang auf und schwenkte das Stilett über seinem Kopf. »Bitte vielmals um Vergebung, aber wir sind hier die Wettermacher! Ihr habt angeluvt und könnt uns nicht mehr entkommen! Euer Schiff gehört uns, und ihr seid alle unsere Gefangenen!
    Wir sind bereit, Gnade walten zu lassen, aber reizt uns nicht zum Äußersten!«
    Auf dem Deck des Schiffs wurde gelacht, und Locke spürte, wie Hoffnung in ihm aufkeimte. Lachen war gut; auf ein solches Lachen folgte selten ein blutiges Gemetzel, jedenfalls seiner Erfahrung nach.

8
     
     
    »Du bist Kapitän Ravelle, nicht wahr?« brüllte die Frau.
    »Äh … ja. Ich merke schon, mein Ruf ist mir vorausgeeilt.«
    »Die ehemalige Mannschaft deines ehemaligen Schiffs hat uns von dir erzählt.«
    »Mist«, murmelte Locke.
    »Wollt ihr zwei gerettet werden?«
    »Eigentlich schon«, erwiderte Locke. »War verdammt nett von euch, wenn ihr uns an Bord nehmen würdet.«
    »Geht klar. Sag deinem Freund, er soll aufstehen. Und dann zieht ihr beide euch nackt aus .«
    »Was?«
    Ein Pfeil zischte durch die Luft, ein paar Fuß über ihre Köpfe hinweg, und Locke zuckte zusammen.
    »Ausziehen! Wenn ihr schon Barmherzigkeit wollt, müsst ihr uns vorher ein bisschen Unterhaltung bieten! Lass deinen dicken Freund aufstehen, und dann runter mit den Klamotten!«
    »Ich glaub es nicht«, ächzte Jean und stellte sich auf die Füße.
    »Eine Frage«, schrie Locke, während er anfing, sich seiner Tunika zu entledigen.
    »Dürfen wir das Zeug einfach ins Boot gen? Ihr wollt doch nicht, dass wir die Sachen ins Wasser werfen, oder?«
    »Nein«, beruhigte ihn die Frau. »Eure Kleidung und das Boot behalten wir auf jeden Fall, bei euch sind wir uns allerdings noch nicht so sicher. Hosen runter, meine Herren. So läuft das hier!«
    Wenig später standen Locke und Jean wankend in dem auf und ab schaukelnden Boot, splitternackt, und die aufziehende Abendbrise kühlte unangenehm ihre Rückseiten.
    »Aber meine Herren«, grölte die Frau, »was ist das denn? Ich hatte gedacht, ich kriege ein paar Säbel zu sehen, und stattdessen zeigt ihr eure Stilette!«
    Die Crew hinter ihr krümmte sich vor Lachen. Korrupter Wärter! Locke sah, dass sich noch weitere Schaulustige an der Backbordreling aufgestellt hatten. Die komplette Mannschaft der Kurier war nicht so groß gewesen wie die Menge an Matrosen, die mittlerweile dort standen, mit Fingern auf Jean und ihn zeigten und sich lautstark über sie lustig machten.
    »Was ist los mit euch beiden? Turnt euch die Vorstellung, gerettet zu werden, nicht genug an? Was muss passieren, damit sich bei euch etwas regt?«
    Locke antwortete mit einer zweihändigen Geste, die er als Junge gelernt hatte und die in sämtlichen Theriner Stadtstaaten für böses Blut sorgte. Die Piraten erwiderten sie mit vielen fantasievollen Variationen.
    »Na schön«, rief die Frau. »Mal sehen, ob ihr auf einem Bein stehen könnt. Los! Ein Bein heben!«
    Locke stemmte die Hände in die Hüften.

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