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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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deuteten darauf hin, dass sie auf die vierzig zusteuerte. Die Augen hatten einen kalten Blick, und um den Mund lag ein harter Zug – ganz offensichtlich teilte sie nicht Ezris Sinn für Humor, wenn es um die beiden nackten Gefangenen ging, die ihr Deck mit Wasser volltropften.
    Ihre nachtschwarzen Zöpfe, in die rote und silberne Bänder eingeflochten waren, quollen wie eine Mähne unter einem viereckigen Hut hervor, und trotz der Hitze trug sie einen verschossenen braunen Gehrock, der mit glänzender goldener Seide gefüttert war. Doch das Erstaunlichste an ihrer Erscheinung war eine Elderglasmosaik-Weste, die offen unter dem Rock hing. Diese Art Rüstung sah man sonst nur bei Angehörigen eines Herrscherhauses; jedes einzelne dieser winzigen Stückchen musste in ein Gitterwerk aus Metall eingefügt werden, da den Menschen keine Methode bekannt war, um Elderglas zu schmelzen. Im Sonnenlicht, das sich in diesen Splittern brach, glitzerte die Weste wie ein aufwändig gestaltetes Buntglasfenster – tausend fingernagelgroße, prachtvoll funkelnde Scherben, eingerahmt in Silberfassungen.
    »Orrin Ravelle«, begann sie. »Von dir habe ich noch nie etwas gehört.«
    »Das wundert mich nicht«, erwiderte Locke. »Gestatten Sie s die Ehre, Ihre Bekanntschaft zu machen?« »Del«, sagte sie, wandte sich von Locke und Jean ab und blickte Ezri an. »Hol das Boot ein. Durchsuch ihre Kleidung, nimm ihnen alles weg, was interessant sein könnte, und gib ihnen was zum Anziehen.«
    »Zu Befehl, Käpt’n.« Ezri drehte sich um und gab den umstehenden Matrosen ein paar Anweisungen.
    »Und nun zu euch beiden«, fuhr der Kapitän fort und richtete den Blick wieder auf die beiden patschnassen Diebe. »Ich heiße Zamira Drakasha. Mein Schiff ist die Giftorchidee. Und wenn ihr wieder angezogen seid, bringt euch jemand nach unten und wirft euch in die Bilgelast.«
     

Kapitel Neun
    Die Giftorchidee
1
     
     
    Ihr Gefängnis lag am tiefsten Punkt der Giftorchidee, der sich ironischerweise auf dem den Abmessungen nach höchsten Schiffsdeck befand. Vom Boden bis zur Decke dieses Stauraums waren es gut und gern zehn Fuß. Doch die Menge an Fässern und Säcken aus Wachstuch, mit denen die Last vollgestopft war, ließ ihnen nur einen sargdunklen Kriechgang auf der holperigen Oberfläche. Locke und Jean hockten in unbequemer Haltung auf den Frachtgütern und stießen immer wieder mit den Köpfen an die Decke. In dem lichtlosen Raum stank es nach mit Schlamm verschmierten Orlop-Tauen, schimmelndem Segeltuch, verdorbenen Lebensmitteln und unwirksamen alchemischen Konservierungsstoffen.
    Technisch gesehen war dies der vordere Frachtraum; die eigentliche Bilge lag hinter einem Schott, ungefähr zehn Fuß von ihnen entfernt zu ihrer Linken. Keine zwanzig Fuß weiter in der anderen Richtung pflügte sich der gekrümmte schwarze Bug durch Wind und Wellen. Etwa drei bis vier Fuß über ihren Köpfen klatschten die Wogen gegen den Schiffsrumpf, und das Geräusch klang gedämpft bis zu ihnen herunter. »Auf dem Messing-Meer gibt es nur freundliche Leute und die besten Quartiere«, murrte Locke.
    »Wenigstens fühle ich mich durch die Dunkelheit nicht so benachteiligt«, warf Jean ein. »Als ich ins Wasser fiel, habe ich meine verdammten Augengläser verloren.« »Bis jetzt haben wir heute ein Schiff, ein kleines Vermögen, deine Äxte und nun auch noch deine Brille verloren.«
    »Zumindest werden unsere Verluste immer kleiner.« Jean knackte mit den Fingerknöcheln, und in der Finsternis hallte der Laut seltsam nach. »Was glaubst du, wie lange wir schon hier unten sind?«
    »Vielleicht eine Stunde?« Locke seufzte und begann mit der mühsamen Suche nach einer halbwegs komfortablen Nische inmitten der Fassdeckel und Säcke voller harter, klumpiger Dinge. Wenn er sich schon langweilte, dann wollte er es wenigstens im Liegen tun. »Aber ich wäre überrascht, wenn sie uns hier für immer und ewig einsperren würden. Ich denke, sie lassen uns nur … schmoren, um uns mürbe zu machen. Das dicke Ende kommt noch, irgendwas haben sie mit uns vor.« »Machst du es dir gemütlich?«
    »Ich strenge mich an.« Locke schob einen Sack zur Seite und fand endlich ein ebenes Plätzchen, auf dem er sich ausstrecken konnte. »Das ist schon besser.« Ein paar Sekunden später hörten sie direkt über sich die knarzenden Schritte vieler Menschen, gefolgt von einem scharrenden Geräusch. Die in das Deck eingelassene Gräting (um die man Wachstuch gewickelt hatte, damit

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