Sturm ueber roten Wassern
darunter.
Schreiben Sie nur irgendeine unverfängliche Höflichkeitsfloskel, etwas völlig Nichtssagendes.«
»Ich verstehe«, sinnierte Requin. Er holte ein Blatt Pergament aus einer Schreibtischschublade, tunkte einen Federkiel in Tinte und schrieb ein paar Sätze.
Nachdem er den Brief mit alchemischem Sand bestreut hatte, sah er Locke wieder an.
»Und diese kindische Lappalie wird ihm genügen?«
»Sie beschwichtigt seine Ängste«, erwiderte Locke. »Callas ist geistig ein Kind. Er wird danach greifen wie ein Säugling nach einer Titte.«
»Oder ein erwachsener Mann«, murmelte Selendri.
Requin schmunzelte. Er trug Handschuhe, wie immer, und nun hob er den Glaszylinder von einer kleinen Lampe auf seinem Schreibtisch; über der Flamme erhitzte er eine Stange aus schwarzem Wachs, das er auf das Pergament tropfen ließ.
Zum Schluss zog er einen schweren Siegelring aus einer Jackentasche und drückte ihn in das flüssige Wachs.
»Ihr Köder, Meister Kosta.« Er reichte Locke das Blatt. »Der Umstand, dass Sie am Dienstboteneingang herumlungern und versuchen, sich unter diesem Umhang zu verstecken, deutet darauf hin, dass Sie nicht vorhaben, lange in der Stadt zu bleiben.«
»In ein, zwei Tagen reise ich wieder in den Süden, sobald meine Schiffskameraden damit fertig sind, die … äh … völlig legal erworbene Fracht zu löschen, die wir aus Port Prodigal mitgebracht haben.« Mit dieser Lüge würde er durchkommen; jeden Tag löschten Dutzende von Schiffen in Tal Verrar ihre Fracht, und zumindest ein paar von ihnen mussten Beute kriminellen Ursprungs geladen haben.
»Und wenn Sie zurückkommen, wird Callas bei Ihnen sein.«
»Ja.«
»Sollte er sich mit dem Siegel doch nicht zufriedengeben, versprechen Sie ihm alles, was sich in halbwegs vernünftigen Grenzen hält. Reichtümer, Drogen, Alkohol, Frauen. Männer. Beides. Und wenn das immer noch nicht reicht, halten Sie sich an Selendris Vorschlag, und überlassen Sie mir die Sorge um seinen Geisteszustand.
Kommen Sie mir nur nicht mit leeren Händen zurück!«
»Wie Sie wünschen.«
»Und wie geht es dann mit Ihnen und dem Archonten weiter? Mit dem Plan, meinen Tresor auszurauben?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Locke. »Erst in sechs, sieben Wochen kann ich wieder mit ihm sprechen. In dieser Zeit sollten Sie überlegen, wie ich Ihnen am besten dienen könnte. Denken Sie sich etwas aus. Wenn Sie wollen, dass ich Callas dem Archonten übergebe – als Doppelagent –, soll es mir recht sein. Wenn ich ihm sagen soll, der Mann sei unterwegs gestorben, dann tue ich das auch. Lassen Sie sich etwas einfallen. Sie haben den besseren Überblick. Ich richte mich ganz nach Ihren Anweisungen.«
»Wenn Sie weiterhin so höflich bleiben«, entgegnete Requin und wog die Geldbörse in der Hand, »mir Callas ranschleppen und sich meinen Anordnungen fügen … dann haben Sie bei mir tatsächlich eine Zukunft.«
»Das würde mich sehr freuen.«
»Und jetzt gehen Sie. Selendri bringt Sie nach draußen. Auf mich wartet noch eine arbeitsreiche Nacht.«
Locke ließ sich ein wenig von seiner Erleichterung anmerken. Dieses Gewebe aus Lügen war mittlerweile so kompliziert, so verzweigt und so überdehnt, dass der Furz einer Motte genügen würde, um es in Fetzen zu reißen; aber die beiden Treffen dieser Nacht hatten ihm und Jean das verschafft, was sie brauchten.
Stragos hatte ihnen für zwei weitere Monate das Gegengift verabreicht, und Requin würde während dieser Zeit stillhalten. Jetzt mussten sie nur noch unbehelligt ihr Boot erreichen und sich aus der Gefahrenzone bringen.
13
»Wir werden verfolgt«, flüsterte Jean, als sie den Servicehof des Sündenturms überquerten. Sie eilten zu dem Labyrinth aus Gassen und Hecken zurück, aus dem sie gekommen waren, der wenig genutzten Anlage aus Gärten und Servicewegen hinter den unbedeutenderen Spielkasinos. Ihr Boot war an einer Mole im inneren Hafen der Großen Galerie festgemacht; über wackelige Stiegen waren sie bis zur obersten Etage der Goldenen Treppe hinaufgeklettert, die Aufzugskabinen und Straßen meidend, in denen tausend Risiken auf sie warteten. »Wo sind sie?«
»Auf der anderen Straßenseite. Sie beobachten den Servicehof. Und als wir losgingen, kamen sie uns hinterher.«
»Mist«, murmelte Locke. »Ich wünschte mir, sämtliche Arschlöcher dieser Stadt, die uns nachpirschen, hätten einen gemeinsamen Satz Eier. Dann könnte ich reintreten, bis mir der Fuß wehtut.«
»Pass auf!«,
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